Sowohl für Investoren als auch für politische Entscheidungsträger ist das eine kritische Zeit.
Geopolitische Spannungen, sehr volatile Märkte und die rasantesten Leitzinserhöhungen der Zentralbanken seit Jahrzehnten sorgen für erheblichen Gegenwind für die Konjunkturentwicklung, was zu einem ungewöhnlich unsicheren Umfeld beiträgt. Wir haben diese und andere Faktoren bei unserem Cyclical Forum im September in Newport Beach ausführlich diskutiert.
Wir sind zu dem Ergebnis gelangt, dass es in allen entwickelten Märkten sehr wahrscheinlich zu einer Rezession kommen wird und die hohen Inflationsraten Bestand haben werden. Die Zentralbanken befinden sich in einer misslichen Lage. Sie müssen die Inflation in den Griff bekommen zu einer Zeit, da das Wachstum bereits gefährdet ist.
Wir sehen dies als eine Zeit, in der Vorsicht und Flexibilität bei der Portfolio-Zusammensetzung Vorrang haben. Gleichzeitig machen höhere Renditen Anleihen noch attraktiver. Anleger können potenziell höhere Erträge erzielen und gleichzeitig mit hoher Resilienz durch volatile Märkte navigieren. Wir erörtern die Argumente, die für Anleihen sprechen, und unterziehen auch andere Vermögenswerte einer Überprüfung in dem Absatz „Anlagekonsequenzen“ weiter unten.
Während wir an diesen und anderen Schlussfolgerungen gearbeitet haben, haben wir uns an das Konzept der radikalen Unsicherheit erinnert, bei dem Unsicherheit nicht durch statistische Verteilungen oder wahrscheinlichkeitsgewichtete durchschnittliche Ergebnisse quantifiziert werden kann, sondern eher unmessbar ist und unkenntliche Unbekannte darstellt (siehe zum Beispiel "King, Keynes and Knight: Insights into an Uncertain Economy", Juli 2016). Infolgedessen waren wir uns einig, dass die Bandbreite der möglichen Ergebnisse besonders breit war, obwohl wir Punktprognosen für Wachstum und Inflation diskutierten.
In einem Punkt sind wir uns jedoch sehr sicher: In Anlehnung an Arthur Okuns „Misery Index“ (erstellt in den 1960er-Jahren), der Inflation und Arbeitslosenquoten addiert, um die Wirtschaftsleistung zu charakterisieren, nimmt die „Misere“ für Zentralbanken und politische Entscheidungsträger aktuell eindeutig zu (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Makro-„Misere“ (Summe aus Inflation und Arbeitslosenquote) in Industrieländern – Höchststände seit den 1980er-Jahren
Ausgangssituation
Um zu verstehen, was diese „Misere“ für Volkswirtschaften, Märkte und Investoren bedeuten könnte, ist es nützlich, uns an die Ausgangsbedingungen und die jüngsten Entwicklungen seit unserem letzten Cyclical Forum im März zu erinnern. Der Krieg in der Ukraine hatte gerade erst begonnen, und obwohl die Aussichten höchst ungewiss waren, hatten wir fünf wichtige und zukunftsweisende Erkenntnisse herausgearbeitet. Erstens: Der Krieg verursacht einen ökonomischen „Anti Goldilocks“-Schock – eine sich beschleunigende Inflation geht mit einem langsameren (oder sogar negativen) realen BIP-Wachstum einher. Zweitens: Die Auswirkungen auf die Lieferketten machen nicht lineare Wachstums- und Inflationsreaktionen wahrscheinlich. Drittens: Die relative Abhängigkeit der EU von russischer Energie wird vielleicht zu einer größeren wirtschaftlichen Divergenz zwischen den Regionen führen. Viertens: Die Finanzierungsbedingungen dürften sich verschärfen, da sich die Zentralbanken vermutlich auf die Bekämpfung der Inflation statt auf die Unterstützung des Wachstums konzentrieren. Und fünftens würde die fiskalische Reaktion auf den Schock wahrscheinlich eingeschränkt sein, da Inflation und Staatsverschuldung infolge der Pandemie bereits gestiegen sind. (Siehe unseren Konjunkturausblick vom März 2022: „ Anti Goldilocks“.)
Seitdem haben sich die makroökonomischen Trends generell auch in diese Richtungen entwickelt. Allerdings waren die Schocks in mehrfacher Hinsicht viel ausgeprägter: Die durch den Krieg verursachten wirtschaftlichen Störungen haben sich verschärft. Die westlichen Sanktionen und die russischen Reaktionen darauf – also die Unterbrechung und zuletzt sogar der Stopp der Gaslieferungen durch verschiedene Pipelines in Europa – werden erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Der Inflationsdruck scheint sich nicht nur in den USA, sondern in allen Regionen zu verschärfen. Zudem hat der Fokus der Zentralbanken auf die Bekämpfung der Inflation zu deutlich schlechteren Finanzierungsbedingungen geführt, die in den USA aufgrund der Dollarstärke am stärksten ausgeprägt sind.
Seit März gab es auch einige unvorhergesehene Ereignisse. Das chinesische Wachstum kam unerwartet ins Stocken. Das Stop-and go bei den Covid-19-Lockdowns und ein wenig systematischer Ansatz bei der Lockerung der Politik belasteten die Wirtschaftsaktivität. Zudem driftet die Fiskalpolitik zwischen einzelnen Regionen jetzt stärker auseinander, da Großbritannien und der Euroraum verstärkt auf Hilfen setzen, die die Nachfrage stützen. In der Tat sind Bemühungen, die Auswirkungen höherer Energiepreise auf Verbraucher und Unternehmen abzufedern, für diese Regierungen zur obersten politischen Priorität geworden. In Großbritannien wurde Ende September ein großes Entlastungspaket angekündigt, das unter anderem umfassendere Steuersenkungen und eine Begrenzung der Energiekosten für Haushalte vorsieht. Das Volumen des Pakets würde sich allein im ersten Jahr auf etwa vier bis fünf Prozent des BIP belaufen. In der Zwischenzeit haben sich verschiedene Länder der Eurozone ebenfalls darangemacht, die Staatsausgaben in Form von Steuertransfers und Subventionen zu erhöhen, um die negativen Auswirkungen höherer Energiekosten auf die frei verfügbaren Einkommen abzuschwächen. Vor kurzem hat die deutsche Regierung einen Mechanismus zur Deckelung der Energiepreise vorgeschlagen, der schätzungsweise 5% des BIP kosten wird. Allerdings: Die hierbei diskutierten Summen sind nicht annähernd so groß wie die in Großbritannien vorgeschlagenen.
Ausblick: Die Makro-„Misere“ wird größer
Diese Entwicklungen werden mit einiger Verzögerung auf die Weltwirtschaft durchschlagen. Wir sehen drei für den Ausblick entscheidende Auswirkungen in den kommenden sechs bis zwölf Monaten:
1. Eine Rezession ist wahrscheinlicher als deren Ausbleiben; die Arbeitslosigkeit dürfte steigen
Eine Rezession und steigende Arbeitslosenquoten in großen Industrieländern, insbesondere in der Eurozone und in Großbritannien, scheinen trotz weiterer Maßnahmen der Regierungen zur Unterstützung ihrer Volkswirtschaften sehr wahrscheinlich.
Der geopolitische Tumult hat Russland veranlasst, den Gasfluss durch verschiedene Pipelines nach Europa – die Hauptquelle für europäische Energieimporte – erheblich zu reduzieren oder ganz zu stoppen. Die Eurozone hat zwar mit freiwilligen Plänen zur Rationierung, höheren Gasimporten aus dem Rest der Welt und fiskalischen Maßnahmen zur besseren Verteilung der Lasten reagiert. Aber trotzdem sehen sich die Europäer noch immer mit rekordverdächtigen Gaspreisen konfrontiert (und der Gefahr einer verpflichtenden Rationierung im Fall eines überdurchschnittlich kalten Winters). Das wiederum würde die frei verfügbaren Einkommen schmälern, die Fertigung vielerorts unwirtschaftlich machen und so sämtliche globalen Lieferketten verteuern.
Obwohl die direkten Handelsverbindungen Russlands mit anderen großen nicht europäischen Märkten eher begrenzt sind, dürften die disruptiven Prozesse wahrscheinlich auf Großbritannien, die USA und andere Industrieländer übergreifen, da Industrieproduktion und Handelsströme in Europa Schaden nehmen. Großbritannien scheint besonders anfällig zu sein, obwohl fiskalische Anreize darauf abzielen, die Haushalte vor höheren Energiekosten zu schützen. Grund sind die engen Handelsbeziehungen mit Europa und eine generell hohe Abhängigkeit von Energie- und Stromimporten.
Währenddessen wird das reale BIP in den USA wahrscheinlich ebenfalls leicht schrumpfen. Das dürfte die Arbeitslosenquote stärker steigen lassen, als es einige Schätzungen für die NAIRU (die inflationsneutrale Arbeitslosigkeit, die laut dem Schatzamt des US-Kongresses etwa vier Prozent beträgt) derzeit erwarten lassen. Eine robuste inländische Energieerzeugung hilft dabei, die USA vor der Energiekrise in Europa und Großbritannien abzuschirmen. Dennoch bewirken unterbrochene Handelsströme in Europa und Störungen der Lieferkette einen stagflationären Schock. Dieser wird die US-Wirtschaft wahrscheinlich in einer Zeit treffen, in der sie selbst mit einer Verschärfung der Finanzierungsbedingungen zurechtkommen muss, wie wir sie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr gesehen haben. Hinzu kommt eine allgemein schlechte Stimmung bei Verbrauchern und Unternehmern. All das erhöht die Unsicherheit und das Risiko einer härteren Landung für die US-Wirtschaft. Zwar stammen nur drei Prozent der Komponenten für Waren und Dienstleistungen, die in den USA insgesamt konsumiert werden, aus Europa (gemäß der Gebrauchs-Mehrwert-Definition der OECD und ihrer Handelsstatistiken). Doch hat die Pandemie gezeigt, dass ein Engpass bei kleinen Wertschöpfungsbestandteilen große Auswirkungen auf die Lieferketten haben kann. Besonders besorgniserregend ist die Anfälligkeit der deutschen Chemieindustrie, die einen wichtigen Beitrag bei der Herstellung einer Reihe von Produkten wie Düngemittel, Industrieteile und Automobile leistet. Die Kombination dieser Schocks dürfte die Profitabilität der Unternehmen belasten, Investitionen reduzieren und letztendlich zu einer höheren Arbeitslosenquote in den USA führen.
Schlussendlich erwarten wir zwar keine Rezession in China, sehen aber Risiken für das reale Wachstum, die aus der Null-Covid-Politik des Landes und der Rezession im Immobiliensektor resultieren. Sinkende Exporte in die USA, Europa und andere Industrieländer werden Chinas politischen Entscheidungsträgern vermutlich ebenfalls zu schaffen machen – trotz des leicht zunehmenden Handels mit Russland. Die politische Führung wird trotzdem versuchen, ihre Wachstumsziele aufrechtzuerhalten.
Trotz dieses von Herausforderungen geprägten Ausblicks gehen wir von einer relativ milden Rezession in den wichtigsten Industrieländern aus, da erstens die Bilanzen der privaten Haushalte und des privaten Sektors im Durchschnitt stark geblieben sind, zweitens Schuldenbeschränkungen in einem inflationären Umfeld weniger verbindlich werden und drittens die rasche Straffung der Geldpolitik – zumindest bis dato – nicht zu Stress auf dem Banken- oder Finanzierungsmarkt geführt hat. Dennoch hat die jüngste Verschärfung der globalen Finanzierungsbedingungen vor dem Hintergrund der fiskalpolitischen Ankündigungen in Großbritannien an die Verbindungen zwischen Realwirtschaft und Finanzmärkten sowie an die Risiken eines „Unfalls“ an den Finanzmärkten erinnert, was zu einer härteren Landung führen würde.
2. Die Inflation bleibt uns erhalten
Die Kerninflationsraten, die über den Zielen der Zentralbank liegen, scheinen sich jetzt stärker festgesetzt zu haben. Und obwohl sich die Gesamtinflation über unseren Prognosezeitraum hinweg wahrscheinlich immer noch deutlich abschwächen wird, dürfte dieser Prozess jetzt länger dauern.
Die Verbraucher werden wahrscheinlich den Stachel erhöhter Energie- und Strompreise in der Eurozone und im Vereinigten Königreich in unterschiedlichem Maß spüren, da die Regierungen versuchen, die Weitergabe der Großhandelspreise an die Endverbraucher abzumildern und sogar zu begrenzen. Nachgebende Rohölpreise an den Weltmärkten dürften dazu beitragen, dass die Gesamtinflation in anderen Regionen, einschließlich der USA, Kanada und Australien, zurückgeht. Tatsächlich gehen wir davon aus, dass sich die Gesamtinflation in den meisten Regionen über unseren zyklischen Horizont deutlich abschwächt. Ein Teil dieser erwarteten Abschwächung ist jedoch auf eine technische Annahme zurückzuführen: Wir verwenden Kurven von Energie-Futures, um die Energie-Inflation vorherzusagen. Wie die meisten anderen Dinge scheint auch der Ausblick für die globalen Energiepreise unsicherer als üblich zu sein. Der Grund hierfür: Die (erwarteten) Rezessionen in den Industrieländern müssen mit den Lieferkettenengpässen verrechnet werden. Diese Engpässe sind nicht nur auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen. Sie resultieren auch aus der weltweit stattfindenden Umstellung von braunen auf grüne Energiequellen.
Unserer Ansicht nach noch wichtiger ist, dass sich die Kerninflation zunehmend auf ihrem hohen Niveau festgesetzt hat. Die steigende Inflation hat sich über jene Bereiche ausgeweitet, die von pandemiebedingten Störungen der globalen Warenproduktion betroffen waren. Inzwischen sind auch tendenziell stärker zyklische Komponenten des Verbraucherpreisindex, darunter die Hotellerie und ganz allgemein Dienstleistungen, tangiert. In der Tat lässt sich diese „hartnäckige“ und sich beschleunigende Inflation generell in allen großen Industrieländern messen, wobei die Beschleunigung in den USA am deutlichsten spürbar ist (siehe Abbildung 2). Darüber hinaus sind die Maße für die längerfristigen Inflationserwartungen in den letzten zwei Jahren allgemein gestiegen (siehe Abbildung 3), während angespannte Arbeitsmärkte die Löhne in die Höhe getrieben haben. Dies gilt insbesondere für die USA, wo sich der Lohndruck von den Niedriglohn-Dienstleistungssektoren mit geringen Qualifikationen auf eine Reihe von Branchen, Berufen und Qualifikationsniveaus ausgeweitet hat.
In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass es länger dauern wird, als die Zentralbanken zuletzt gehofft hatten, bis die Kerninflation zurückgeht. Zudem verschärfen Risiken für die realen Wachstumsaussichten die Inflationsunsicherheit. Nicht völlig von der Hand zu weisen ist zudem die Gefahr einer dramatischeren, disinflationär wirkenden Wirtschaftskrise.
Abbildung 2: Die Kerninflation hat sich in mehreren Industrieländern erheblich stärker festgesetzt
Abbildung 3: Die langfristigen Inflationserwartungen waren im Allgemeinen höher
Am besorgniserregendsten für die Zentralbanken ist vermutlich, dass die hohe und weiter steigende Inflation vor dem Hintergrund längerfristiger Bemühungen zur Stärkung der Lieferketten-Resilienz und des Übergangs zu grünen Energiequellen abläuft (siehe unseren langfristigen Ausblick vom Juni 2022: „Resilienz stärken“). Am Ende des Tages dürften höhere Preise zwar Innovationen anschieben. Bevor jedoch diese längerfristigen Entwicklungen durchschlagen, werden die Kosten mittelfristig zunächst erst steigen, was dazu führt, dass die Verbraucherpreisinflation tendenziell nicht so schnell wieder auf ein niedrigeres, vorpandemisches Niveau zurückkehrt.
3. Geldpolitik: Straffere Zügel für längere Zeit
Die Kombination aus höherer Arbeitslosigkeit und einer hartnäckig über dem Durchschnitt liegenden Inflation stellt die Notenbanker vor schwierige Entscheidungen. Ihre bisherigen Maßnahmen deuten jedoch darauf hin, dass sie sich voll und ganz auf die Inflationsbekämpfung konzentrieren. Das Risiko, dass eine höhere Inflation wiederum zu steigenden Inflationserwartungen usw. beiträgt, erscheint vor dem Hintergrund inflationärer Trends, die breiter sind als nur pandemiebedingte Angebotsschocks, noch akuter zu sein. Und da sich die Inflation jetzt ausweitet, ist es viel weniger klar, ob sich die Teuerung von selbst abschwächen wird, ohne dass eine zusätzliche geldpolitische Straffung erfolgt, um die Realzinsen wieder über ihr neutrales Niveau zu heben. Bis dato sind die Realzinsen trotz der allgemein ungünstigeren Finanzierungsbedingungen niedrig geblieben, was für weitere nominale Zinserhöhungen spricht.
Die Europäische Zentralbank (EZB) wird wahrscheinlich vor dem schwierigsten Zielkonflikt in Sachen Beschäftigung und Inflation stehen, obwohl sie offiziell ein Mandat hat, singulär für Preisstabilität zu sorgen. Von den wichtigsten Volkswirtschaften ist die Eurozone am meisten betroffen von den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland. Sie dürfte folglich den stärksten BIP-Rückgang erleiden. Da jedoch westliche Sanktionen (und Ausfälle/Unterbrechungen der russischen Energielieferungen) wahrscheinlich nicht so schnell rückgängig gemacht werden, wird die EZB ihre Geldpolitik angesichts dieser neuen Angebotsengpässe vermutlich so ausrichten müssen, dass die Nachfrage darunter leidet. Wir sind von folgender Annahme überzeugt: Die europäischen Schätzungen für den realen neutralen Zinssatz liegen deutlich unter dem anderer Industrieländer. Die EZB hat deshalb weniger Arbeit vor sich, um eine restriktive Geldpolitik umzusetzen.
Die Notenbanken der USA, Kanadas, Großbritanniens und anderer Industriestaaten stehen vor ähnlichen Zielkonflikten. Da die Inflation jedoch deutlich über den langfristigen Zielen liegt, sind weitere Zinserhöhungen wahrscheinlich angemessen. Die geldpolitischen Entscheidungsträger sind bestrebt, eine restriktive Haltung einzunehmen – insbesondere in Großbritannien, wo wir erwarten, dass die Notenbank die Geldpolitik so ausrichtet, dass sie die jüngsten fiskalischen Maßnahmen neutralisiert – und die Leitzinsen sodann auf einem höheren Niveau belässt, bis die Inflation deutlich in Richtung Zielmarke zurückgeht. In den USA erwarten wir, dass die Fed den Leitzins auf eine Spanne von 4,5 bis 5,0 Prozent erhöhen und dann innehalten wird, um die Auswirkungen ihrer straffen Geldpolitik auf die Wirtschaft zu bewerten (wohl wissend, dass die Geldpolitik erst mit deutlichen und variablen Verzögerungen auf die Realwirtschaft durchschlägt).
Wie hoch die Leitzinsen in den Industriestaaten letztendlich steigen, um für eine hinreichende Verschärfung der Finanzierungsbedingungen zu sorgen, hängt von der Sensitivität der jeweiligen Volkswirtschaften gegenüber den Zinssätzen ab. Gemessen an der jüngsten Entwicklung des Immobilienmarkts, könnten die Zentralbanken Kanadas, Australiens und Neuseelands einen Punkt erreichen, an dem sie die Zinserhöhungen aussetzen – vor den USA und insbesondere vor Großbritannien. In Großbritannien könnte das endgültige Ziel für den Leitzins aufgrund der angekündigten fiskalischen Expansion deutlich über dem anderer Industrieländer-Zentralbanken liegen. Und das, obwohl die britische Notenbank abermals eine Kehrtwende vollzieht: weg von einem Schrumpfen ihrer Bilanz und hin zu einer erneuten Ausweitung, um die systemischen Risiken für das britische Rentensystem abzumildern, die aus dem schnellen Anstieg der längerfristigen Zinssätze resultieren.
Die japanische Notenbank ist die einzige Ausnahme in diesem Ausblick, da die Inflation in Japan bisher überraschend gedämpft geblieben ist. Für den Fall, dass Japans Inflationsdynamik irgendwann der Route seiner internationalen Mitbewerber folgt, erwarten wir, dass die japanische Notenbank ihre Politik entsprechend anpasst. In der aktuellen Situation – mit einem noch immer nur moderaten Lohndruck – dürfte sich die japanische Notenbank jedoch weiterhin darauf konzentrieren, die Inflationserwartungen festzuschreiben, die sich im Lauf der Jahre an die dauerhaft unter dem Zielwert liegende Inflation des Landes angepasst haben.
Es ist unnötig zu erwähnen, dass dieser geldpolitische Ausblick auch das Risiko einer harten Landung vergrößert. Unser Basisszenario beinhaltet zwar nur eine moderate Rezession. Dennoch steigt das Risiko von „Unfällen“ an den Finanzmärkten oder plötzlichen Kreditklemmen in einem Umfeld, in dem die Zentralbanken mit Zins- und Bilanzinstrumente die Nachfrage dämpfen müssen. Diese Zweitrunden-Effekte sind ex ante schwierig zu prognostizieren, da systematische Verflechtungen an den Finanzmärkten nur dann und mit Zeitverzug offensichtlich werden, wenn die Märkte bereits unter Stress stehen.
Die nächste Rezession: Moderat, aber länger andauernd
Auch wenn unser Basisszenario nur moderate Rezessionen für alle Industrieländer vorhersagt, rechnen wir nicht damit, dass das Wachstum schnell und mit einem überdurchschnittlichen Tempo zurückkehren wird. Da die Inflation signifikant über den Zielen der Zentralbanken liegt und die Haushaltsdefizite und Verschuldungsquoten nach der Pandemie jetzt deutlich höher sind, dürfte auch die fiskalpolitische Reaktion auf die lahmende Konjunktur gedämpfter ausfallen. Das führt zu einem Wachstumsausblick, der auch noch einige Zeit nach der Rezession nur im Schneckentempo vorankommt und unter dem langfristigen Mittel liegen dürfte. Selbst wenn der „Misery Index“ seinen Höhepunkt erreicht hat, kann es einige Zeit dauern, bis er wieder ein erträglicheres Niveau erreicht, da eine niedrigere Inflation mit der höheren Arbeitslosigkeit verrechnet werden muss.
Wir gehen davon aus, dass eine fiskalische Lockerung in Europa und Großbritannien diese Volkswirtschaften während einer Rezession stützen wird. Diese Unterstützung wird angesichts der angenommenen Reaktion der Zentralbanken jedoch höchstwahrscheinlich nicht ausreichen, um eine Rezession komplett zu vermeiden. Genauso wenig ist es wahrscheinlich, dass das Wachstum dank dieser Hilfen danach wieder über das langjährige Mittel zurückkehren wird. In den USA dürfte es kurzfristig bestenfalls geringfügige zusätzliche fiskalpolitische Unterstützung geben angesichts der parteiübergreifenden Sorgen über die hohe Inflation.
Während dieser fiskalpolitische Ausblick in Verbindung mit einer straffen Zentralbankpolitik keine gute Nachrichten für die mittelfristigen Wachstumsaussichten verheißt, ist er wahrscheinlich genau das, was zur Überwindung der Inflation nötig ist. Die pandemische Episode machte deutlich, dass die Inflation nicht nur ein geldpolitisches, sondern auch ein fiskalpolitisches Phänomen ist.