Wirtschaftsausblick: Vom Zyklus der Zinserhöhungen zum Wendepunkt
Als wir uns im März zu unserem vierteljährlichen Cyclical Forum trafen, besaßen die größeren Eckpfeiler unseres mittelfristigen Ausblicks vom Januar mit dem Titel „Angespannte Märkte, aussichtsreiche Anleihen“ nach wie vor Gültigkeit. Das beinhaltete die Erwartungen für eine milde Rezession in den Märkten der Industrieländer, sobald sich die Auswirkungen einer strafferen Geldpolitik bemerkbar machen würden. Wir erörterten darüber hinaus, wie neue Entwicklungen, darunter die schnellere Öffnung der chinesischen Wirtschaft, der sich abschwächende Energieschock in Europa und positive Revisionen der US-Konjunkturdaten, zu einer kurzfristigen Beschleunigung des realen BIP-Wachstums beitragen könnten.
Innerhalb weniger Tage warfen der Ansturm auf die Silicon Valley Bank (SVB) in den USA und die Credit Suisse in Europa jedoch einen neuen Schatten auf die sich aufhellenden Aussichten. Die Situation dieser Banken war zwar ein Einzelfall. Dennoch sind die Probleme dieser Institute durchaus symptomatisch für die allgemeine Anfälligkeit des Sektors, was auf die restriktive Geldpolitik zurückzuführen ist. Das Ausmaß der endgültigen makroökonomischen Auswirkungen dieser Ereignisse bleibt ungewiss, aber die Triebkräfte sind eindeutig negativ.
Unter Berücksichtigung dieser Ungewissheiten setzten wir unsere Diskussionen fort und zogen mehrere Schlussfolgerungen mit Blick auf die Aussichten für die kommenden sechs bis zwölf Monate.
Die Risiken für eine frühere, tiefere Rezession sind gestiegen.
Bankenpleiten, eine noch größere Volatilität bei Bankaktien, steigende Kapitalkosten und die anhaltende „Einlagenflucht“ weg von anfälligeren kleinen und mittelgroßen US-Banken (KMUs) trüben die Aussichten ein. Sie verschärfen die Kreditvergabe-Bedingungen erheblich, insbesondere in den USA, und erhöhen damit das Risiko einer früheren und tieferen Rezession.
Die Geldpolitik wirkt mit einer zeitlichen Verzögerung. Diese Episode zeigt, dass sich die strengeren Kreditvergabe-Bedingungen zunehmend auf den Bankensektor und damit auf die Wirtschaftstätigkeit, die Nachfrage und schließlich die Inflation auswirken.
Das Kreditwachstum dürfte sich verlangsamen. Die Bankenpleiten sind charakteristisch für größere Probleme bei KMUs (im Fall der SVB), die auf den europäischen Bankensektor überschwappten. Allerdings: Die Credit Suisse war angesichts ihrer Rentabilitätsprobleme und der Tatsache, dass sie sich inmitten eines großen Umstrukturierungsprozesses befand, besonders anfällig.
In den USA setzen beträchtliche Portfolioverluste im Verhältnis zum harten Kernkapital, Einlagenabflüsse und schrumpfende Nettozinsmargen die KMUs unter Druck, was für das Kreditwachstum von entscheidender Bedeutung ist. Dem US Federal Reserve Board zufolge entfielen im Jahr 2022 rund 30 Prozent der neuen Kredite an US-amerikanische Unternehmen und Haushalte auf KMUs. Diese Kreditquelle wird in Zukunft – vielleicht sogar erheblich – spärlicher sprudeln, denn: Der Fokus der KMUs verlagert sich auf das Liquiditätsmanagement angesichts höherer Finanzierungskosten und einer sehr wahrscheinlich strengeren Bankenregulierung. Größere Banken, die die umfassenderen Dodd-Frank-Vorschriften einhalten müssen, werden die Lücke bei der Kreditvergabe an kleinere und potenziell risikoreichere Unternehmen wahrscheinlich nicht schließen können.
In Europa wirft die Art und Weise, wie die Schweizer Aufsichtsbehörden die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS orchestriert haben – eine Änderung der Notstandsgesetzgebung an einem einzigen Wochenende, die den Wert der Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) vor dem Eigenkapital eliminierte – Fragen zur Rolle von AT1-Instrumenten und deren Positionierung innerhalb der Kapitalstruktur auf. Und das wiederum dürfte wahrscheinlich die Kapitalkosten für die Bankenbranche insgesamt erhöhen. Die Aufsichtsbehörden im Euroraum, im Vereinigten Königreich und anderswo haben seitdem öffentlich erklärt, dass sie dem Ansatz der Schweizer Aufsichtsbehörden nicht folgen würden. Dennoch ist die Credit Suisse ein besorgniserregender Präzedenzfall, der das europäische Bankenfinanzierungsmodell grundlegend verändern könnte.
Die jüngsten Ereignisse werden in den USA wahrscheinlich zu einer milden Rezession führen. Das wiederum sorgt für weiteren Gegenwind, der sehr wohl auch Europa in eine Rezession ziehen könnte. Da Banken – selbst große, sogenannte nationale Champions mit substanziellen Puffern an hartem Kernkapital – in eine Vertrauenskrise geraten könnten, glauben wir, dass das Risiko einer schwereren Rezession ganz klar gestiegen ist.
Dennoch gibt es gute Gründe zu der Annahme, dass sich das Jahr 2008 nicht wiederholen wird. Die Haushalte verfügen noch immer über überschüssige Ersparnisse, und die Gesamtverschuldung der Unternehmen im Verhältnis zum BIP erscheint bei einem immer noch niedrigen Zins-Einkommen-Quotienten überschaubar. Zudem sind die bisherigen Verluste der Banken allgemein auf steigende Zinsen zurückzuführen (was den Wert langfristiger Assets mindert), nicht jedoch auf eine riskante Kreditvergabe oder auf Kreditausfälle. Die größten systemrelevanten US-Banken, die regelmäßigen Liquiditäts- und Kapitalstresstests unterzogen werden, sind nach wie vor finanziell gesund, und sie sind die Nutznießer von Einlagenabflüssen bei kleineren Banken.
Zentralbanken: Weniger geldpolitische Straffung, aber eine nur langsame Lockerung
All das bedeutet, dass die Notenbanken weniger schweres Geschütz auffahren müssen, um das gleiche Ergebnis zu erzielen: Die ungünstigeren Finanzierungsbedingungen werden das Kreditwachstum und die Nachfrage verlangsamen und so die Inflation früher oder später eindämmen. Ein Verzicht auf eine weitere geldpolitische Straffung ist jedoch etwas anderes als eine Normalisierung oder gar Lockerung der Geldpolitik, die unserer Meinung zufolge nach wie vor einen Rückgang der Inflation in Richtung der Zentralbankziele erfordert.
Zuletzt hatten wir argumentiert, dass es relativ einfach sein sollte, die Inflation in den USA von acht auf vier Prozent zu drücken, dass es aber mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, von vier auf zwei Prozent zu kommen. Der Grund hierfür: Sogenannte „hartnäckigere“ Inflationskategorien aus dem Bereich der Lohninflation dürften sich wahrscheinlich langsamer abschwächen, wenn die Arbeitsmärkte noch stärker leergefegt sind. Wir erwarten weiterhin, dass die Kerninflation für den US-Verbraucherpreisindex (CPI) 2023 bei etwa drei Prozent landen wird, was immer noch über dem Inflationsziel der US-Notenbank (Fed) von zwei Prozent liegt. Für Europa rechnen wir damit, dass die Inflation zum Jahresende vermutlich noch höher liegen wird.
Löhne, die naturgemäß weniger flexibel sind als Preise, sind generell hinter der Anpassung des Preisniveaus zurückgeblieben. In vergangenen Konjunkturzyklen begann sich die Lohninflation erst ein ganzes Jahr nach Beginn einer Rezession wesentlich zu verlangsamen.
Im vergangenen Oktober argumentierten wir in unserem mittelfristigen Konjunkturausblick mit dem Titel „Marktturbulenzen beherrschen“, dass eine Rezession im Jahr 2023 wahrscheinlich sei, was auf die aggressiven Maßnahmen der Zentralbanken zur Bekämpfung der Inflation zurückzuführen sei. Unsere Einschätzung basierte auf einer wirtschaftshistorischen Analyse über 70 Jahre und in 14 Industrieländern. Diese deutet darauf hin, dass die ökonomischen Auswirkungen infolge der geldpolitischen Straffung durch die Zentralbanken bis Mitte 2023 deutlicher sichtbar werden könnten. Dieser Analyse zufolge hat die Produktionslücke in der Regel eineinhalb bis zwei Jahre nach Beginn eines Zyklus von Zinserhöhungen dazu tendiert, größer zu werden. Eine Rezession und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit begannen etwa zwei bis zweieinhalb Jahre später. Der aktuelle Konjunkturzyklus scheint sich weitgehend im Einklang mit dieser historischen Zeitachse zu entwickeln.
Die jüngsten Entwicklungen legen sehr wahrscheinlich nahe, dass die Fed kurz vor dem Abschluss ihres Zyklus aus Zinserhöhungen steht – oder diesen bereits beendet hat bei einem aktuellen Niveau des Leitzinses von fast fünf Prozent (weitere Informationen finden Sie in unserem kürzlich erschienenen Blogbeitrag „Fed Weighs Stubborn Inflation Against Banking System Stress“). Potenzielle Schritte in Richtung einer Zinssenkung hängen jedoch davon ab, wie sich der Zielkonflikt zwischen Finanzstabilität und Inflationsrisiken entwickelt. Da sich die Inflation voraussichtlich weiterhin nur langsam abschwächen wird, dürften auch alle Maßnahmen zur Normalisierung oder gar Lockerung der Geldpolitik nur mit Verzögerung erfolgen.
Diese Verzögerungen beim Inflationsgeschehen werden in der Eurozone wahrscheinlich länger andauern, was die Europäische Zentralbank (EZB) wahrscheinlich dazu anhalten wird, länger als die Fed die Leitzinsen zu erhöhen. Die Inflation in Europa ist bei den Preisen um etwa zwei Quartale und bei den Löhnen sogar noch länger hinter den USA zurückgeblieben. Höhere Gaspreise, eine schwächere Währung und ein weniger flexibler Arbeitsmarkt dürften eine längere Phase höherer Inflationsraten in Europa unterstützen. Infolgedessen glauben wir, dass ein den Zyklus abschließender EZB-Leitzins von 3,5 bis 4,0 Prozent angemessen erscheint.
Ein letzter Punkt: Regionen, die weniger auf lang laufende Hypotheken mit fixen Zinssätzen zur Finanzierung von Eigenheimkäufen angewiesen sind – etwa Kanada, Neuseeland und Australien –, sind weniger von den Problemen der US-Regionalbanken betroffen. Die Übertragung der Geldpolitik in die Realwirtschaft funktioniert dort, indem Zinsänderungen auf steigende Haushaltskosten direkt übergewälzt werden. Dennoch erhöhen die Abhängigkeit Neuseelands und Australiens von externer Finanzierung und die engen Handelsbeziehungen Kanadas zu den USA das Risiko von Spill-over-Effekten. Die japanische Wirtschaft sticht unterdessen als relativ isoliert hervor, und wir gehen weiterhin davon aus, dass die Notenbank des Landes von ihrer Politik der Zinskurvenkontrolle abrücken wird.
Fiskalpolitik und Regulierung: Fokus auf „moralisches Risiko“?
Angesichts der immer noch hohen Inflation, der hohen Staatsverschuldung und der weitverbreiteten Überzeugung, dass die Reaktion auf die Pandemie das derzeitige inflationäre Umfeld verursacht hat, ist es unwahrscheinlich, dass zusätzlicher Bankenstress und steigende Rezessionsrisiken mit einer weiteren großangelegten fiskalischen Reaktion beantwortet werden, es sei denn, die ökonomischen Auswirkungen (des Nicht-Tätigwerdens) wären klar ersichtlich und schwerwiegend. Die fiskalpolitischen Reaktionen werden wahrscheinlich nur mit Verzögerung kommen und weniger aggressiv ausfallen.
Dies gilt insbesondere für die USA, wo politischer Druck die stringente Umsetzung der Bankenregulierung durch die Fed noch verstärken könnte, insbesondere außerhalb der größten systemrelevanten Banken, was die Kreditvergabe einschränken würde. Die Fed könnte auch die Regulierungsstandards für die großen Regionalbanken überall dort verschärfen, wo sie dazu in der Lage ist.
Darüber hinaus ist die Hürde für den Kongress in der gespaltenen US-Regierung wahrscheinlich hoch, präventiv Gesetze zu erlassen (wenn auch nur vorübergehend), um das Vertrauen in den Bankensektor wiederherzustellen, beispielsweise durch eine Anhebung der Versicherungsobergrenzen der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC). Sollten jedoch weitere kleine Banken insolvent werden, erwarten wir, dass die FDIC und die Fed die sogenannte „Systemrisiko-Ausnahme“ geltend machen werden, um ein Programm zu schaffen, das die Einlagen dieser Banken versichert.
Während die Fiskalpolitik in Europa und Großbritannien etwas großzügiger ausfiel – etwa um Unternehmen und Haushalte vor höheren Energiepreisen zu schützen und auf die „grünen“ Subventionen des US Inflation Reduction Act zu reagieren – dürften eine höhere Inflation und Staatsverschuldung auch dort jede fiskalische Reaktion limitieren.