In den vergangenen Monaten verlief die konjunkturelle Erholung in den verschiedenen Regionen und Sektoren ungleichmäßig. Im Fall der USA hat dies zu Engpässen in der Lieferkette und einem Anstieg der Inflation geführt. Trotzdem betrachten wir bei PIMCO die Faktoren, die den jüngsten Preisanstieg verursacht haben, weiterhin als vorübergehend. Folglich haben sich unsere grundlegenden Meinungen zu den Auswirkungen der Pandemie, den politischen Implikationen oder dem Wirtschaftswachstum seit unserem Konjunkturausblick vom März nicht wesentlich verändert.
Bisher fiel die Reaktion der Märkte auf diese makroökonomischen Entwicklungen im Allgemeinen verhalten aus, und trotz höherer Inflationsrisiken ist die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen seit Mitte März um 25 Basispunkte gesunken. Wie wir jedoch bei unserem zyklischen Forum im März erörtert haben, sehen wir das Risiko, dass die größeren makroökonomischen Unsicherheiten und die Volatilität zu einem ähnlichen Anstieg der Volatilität auch an den Anlagemärkten führen werden. Daher glauben wir, dass es sinnvoll ist, in einer Zeit weniger zwingender Kaufgelegenheiten und allgemein hoher Bewertungen geduldig zu sein und sich darauf zu konzentrieren, Liquidität und Flexibilität in unseren Portfolios zu erhalten. Wenn die Märkte überschießen, wozu sie ja durchaus neigen, wollen wir die Flexibilität haben, diese Chancen zu nutzen.
Wirtschaftsausblick: Pandemie, Politik und Wachstumsspitze
In den vergangenen Monaten legten die öffentlichen Gesundheitsdaten den Schluss nahe, dass die globale Pandemie, gemessen an der Zahl der Fälle, im zweiten Quartal 2021 vermutlich ihren Höhepunkt überschritten hat. Die Sieben-Tages-Rate neuer Covid-19-Fälle weltweit sank von Mitte April bis Anfang Juni von rund 5,8 Millionen auf 2,9 Millionen pro Woche. Gleichzeitig sind die Impfquoten in den Industrieländern nach einem holprigen Start angestiegen. Es wird damit gerechnet, dass die Industriestaaten in den kommenden Monaten die Herdenimmunität erreichen werden. Folglich sollten die weltweiten Zahlen neuer Infektionen und Todesfälle trotz langsamerer Fortschritte bei den Impfkampagnen in den Entwicklungsländern weiter sinken. (Für detailliertere Einblicke zu den Schwellenländern lesen Sie bitte den aktuellen Blog-Beitrag „Schwellenländer unter der Lupe“.
Mit dem Zurückweichen der Pandemie hat jedoch auch die Unterstützung seitens der Politik vermutlich ihren Höhepunkt erreicht. Bei den Industrienationen erwarten wir, dass der fiskalische Impuls in seiner Wirkung nachlassen wird und sich die strukturellen Staatsdefizite in den kommenden Monaten zu einer regelrechten Wachstumsbremse entwickeln werden (siehe Abbildung 1). Wir gehen davon aus, dass dies auch dann passieren wird, wenn in den USA neue Infrastrukturausgaben auf den Weg gebracht werden. Die im März 2021 verabschiedeten zusätzlichen Gesetze zur Abfederung der Pandemiefolgen haben die US-Konjunktur angekurbelt, was auch für den Rest der Welt positive Auswirkungen hatte. Allerdings: Der fiskalische Impuls, der im ersten Quartal 2021 primär von den Geldprämien für die US-Haushalte ausging, wird sich nicht wiederholen. Und es wird erwartet, dass die von der US-Bundesregierung aufgestockten Hilfen für Arbeitslose zum Ende des dritten Quartals vollständig auslaufen.
Abbildung 1: Nach dem Höhepunkt im Jahr 2020 könnte die fiskalpolitische Unterstützung in den Industrieländern über unseren zyklischen Prognosehorizont hinweg sogar zu einer Belastung und Bremse für das Wirtschaftswachstum in den Industriestaaten werden.
In ähnlicher Weise haben die schärferen Finanzierungsbedingungen in China das Kreditwachstum eines der wichtigsten Wirtschaftsmotoren der Welt verlangsamt. Die Zentralbanken der Industrieländer haben gleichzeitig mit einer langsamen Richtungsänderung begonnen, indem sie entweder den ersten Schritt hin zu einer Normalisierung der Politik getan haben (wie zum Beispiel die kanadische Notenbank und die Bank of England, die ihre Ankäufe von Vermögenswerten zurückfahren) oder Pläne dazu verkündet haben (wie zum Beispiel die Fed, die durchblicken ließ, dass sie bei der Sitzung im Juni ein sogenanntes „Tapering“ diskutiert hat).
Diese Faktoren dürften Auswirkungen unterschiedlichen Ausmaßes auf das Wachstum in verschiedenen Branchen und Regionen haben. Eines der Ergebnisse wird wahrscheinlich sein, dass die Wachstumserholung in den einzelnen Industrieländern im laufenden Jahr unterschiedlich stark ausfallen wird. Wir gehen jedoch davon aus, dass diese Erholung im Jahr 2022 synchroner, wenngleich schwächer verlaufen wird. Gleichwohl dürfte das kräftige BIP-Plus dann immer noch über dem langjährigen Trend liegen. Insbesondere nach der Rezession und dem Konjunktureinbruch im Jahr 2020 glauben wir, dass die USA, Großbritannien, Kanada und China im zweiten Quartal 2021 wahrscheinlich den höchsten Zuwachs beim BIP erzielen werden, während wir diese Spitze für die EU und Japan erst im dritten und vierten Quartal erwarten.
Wenn wir auf die Branchen blicken, dürfte sich die hohe Nachfrage nach Konsumgütern abschwächen, wohingegen die Ausgaben für Dienstleistungen wieder steigen sollten. Viele Aspekte dieser „Pandemie“-Rezession waren einzigartig. In besonderem Maß erwähnenswert war jedoch, dass die Nachfrage nach Konsumgütern zu keinem Zeitpunkt eingebrochen war. In allen Industrieländern kauften die Verbraucher im Allgemeinen langlebige Güter anstelle von Dienstleistungen (siehe Abbildung 2). In den USA zum Beispiel explodierte der Absatz von Heimtrainern geradezu, wohingegen die Ausgaben für Mitgliedschaften in Fitnesscentern regelrecht abstürzten. In ähnlicher Weise nahm die Nachfrage nach Autos zu, während der öffentliche Verkehr ein Minus verbuchen musste. Solche Beispiele ließen sich noch viele benennen. Die über dem Trend liegende Nachfrage nach Konsumgütern in der zweiten Jahreshälfte 2020 und in der ersten Jahreshälfte 2021 mag einen wichtigen Beitrag zur Konjunkturerholung in den Industriestaaten geleistet haben. Allerdings wird auch dieses Wachstum seinen Höhepunkt wahrscheinlich im zweiten oder dritten Quartal dieses Jahres überschreiten, wenn die Pandemie (wie erhofft) abklingt. Die Präferenzen der Verbraucher werden sich dann wieder in Richtung Dienstleistungsausgaben verschieben.
Abbildung 2: Seit Beginn der Pandemie hat der Verbrauch von Gütern den Verbrauch von Dienstleistungen in den entwickelten Märkten deutlich überstiegen – dieser Trend könnte sich später im Jahr 2021 aber verändern
Insgesamt gehen wir davon aus, dass das reale BIP in den Industriestaaten im Jahr 2021 um sechs Prozent wächst (gemessen am vierten Quartal gegenüber dem vierten Quartal) und sich das BIP-Plus 2022 auf weniger als drei Prozent abschwächen wird. In der Zwischenzeit wird der langsamere Fortschritt bei den Impfkampagnen insbesondere in den Schwellenländern dort eine vollständige Konjunkturerholung (wie in den Industrienationen) wahrscheinlich verzögern. Wir erwarten, dass sich das BIP-Wachstum in den Schwellenländern im Jahr 2022 auf fünf Prozent beschleunigen wird nach 3,5 Prozent im laufenden Jahr (4Q/4Q).
Inflation: ein Anstieg, aber keine Spirale
Da die Inflation in den Industriestaaten im Allgemeinen dem Wachstum hinterherhinkt, gehen wir auch davon aus, dass die Inflation in den kommenden Monaten ihren Höhepunkt erreichen wird (siehe Abbildung 3). Der genaue Zeitpunkt und das Ausmaß sind jedoch aufgrund von Angebotsengpässen, die sich stärker als erwartet auf die tatsächlich gemessene Teuerungsrate für Waren ausgewirkt haben, mit Unsicherheiten behaftet. Im April 2021 hatte sich die Kerninflation in den Industrieländern mit 1,7 Prozent (im Jahresvergleich) vollständig von ihrem Rückgang während der Pandemie erholt; die Zusammensetzung des Inflationsdrucks war damals jedoch eine ganz andere. In der Tat lag die Teuerungsrate von Dienstleistungen zwar noch weit unter dem vorpandemischen Niveau, während die Inflationsrate von Gütern deutlich höher war (siehe Abbildung 4).
Abbildung 3: Mit dem Erreichen des Höchststands des BIP-Wachstums in den Industrieländern könnte auch der Höhepunkt der Inflation nicht mehr lange auf sich warten lassen
Abbildung 4: Die Kerninflation wurde während der Pandemie weitgehend von den Güterpreisen bestimmt
Bei genauerer Betrachtung der Daten ist der Anstieg der Güterinflation in den Industrieländern vor allem auf die explodierenden Preise für US-Gebrauchtwagen zurückzuführen. Der weltweite Mangel an Halbleitern hat die US-Produktion neuer Autos stärker behindert, als das in anderen Industrieländern der Fall war. Die Preiseffekte dieser Engpässe zeigen sich vor allem auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Zu einem großen Teil ist das darauf zurückzuführen, dass US-Mietwagenfirmen nach dem Abbau der Flotten im vergangenen Jahr jetzt auf Gebrauchtwagen zurückgreifen, um ihre Flotten wieder aufzurüsten. Auch logistische Engpässe haben den Gütermarkt in den USA behindert: Die Überlastung der Häfen an der Westküste und ein Mangel an Lkw-Fahrern haben die Lieferzeiten verlängert und die Kosten erhöht, die an die Verbraucher weitergegeben werden.
Dennoch: Es wird erwartet, dass sich diese Angebotsengpässe im Jahr 2022 entspannen werden. In Verbindung mit der den Höhepunkt überschreitenden Güternachfrage in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 dürfte das den Inflationsanstieg abschwächen. Darüber hinaus sind die USA mit einer Arbeitslosenquote von 5,8 Prozent noch weit von der Vollbeschäftigung entfernt. Die Situation am Arbeitsmarkt in Verbindung mit einer relativ flachen Phillips-Kurve (was darauf hindeutet, dass der statistische Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Inflation weniger signifikant ist), die nach wie vor stabilen Inflationserwartungen und das sich beschleunigende Produktivitätswachstum lassen das Risiko einer Inflationsspirale in den USA unter dem Strich gering erscheinen.
Außerhalb der USA, in anderen Industrieländern, war der Inflationsdruck deutlich geringer ausgeprägt. Tatsächlich lag die Kerninflation in den Industrienationen ohne die USA im April 2021 bei rund 0,6 Prozent gegenüber 3,0 Prozent Kerninflation in den USA (im Jahresvergleich, siehe Abbildung 5). Diese Divergenz ist trotz des globalen Charakters der Engpässe in der Lieferkette aufgetreten, weil die finanzpolitisch stimulierte Nachfrage nach Gütern in den USA stärker ausfiel als in anderen entwickelten Märkten. Die Tatsache, dass sich die großen fiskalischen Transferleistungen wahrscheinlich nicht wiederholen werden und die US-Fiskalpolitik im Jahr 2022 zu einer Wachstumsbremse werden kann, spricht jedoch dafür, dass die Inflation auch im Jahr 2022 moderat ausfallen wird.
Abbildung 5: Die USA sind der Haupttreiber für die Kerninflation in den Industrieländern
Unter dem Strich prognostizieren wir, dass die Industrieländer-Inflation 2021 annualisiert bei durchschnittlich drei Prozent liegen wird, bevor sie 2022 auf 1,5 Prozent zurückgehen wird – und damit unter die Zielmarke der Zentralbanken der Industrieländer. Für die USA erwarten wir, dass die Kerninflationsrate im zweiten Quartal 2021 einen Höchststand von etwa vier Prozent auf Jahresbasis erreichen und das Jahr mit 3,5 Prozent abschließen wird, bevor sie 2022 wieder auf 2,3 Prozent zurückgeht.
Der geldpolitische Ausstieg birgt Risiken
Unser Basisszenario für Wachstum und Inflation birgt sowohl Abwärts- als auch Aufwärtsrisiken. Der Ausstieg aus einem politisch induzierten hin zu einem organischen Wachstum könnte besser als erwartet ablaufen ... oder auch schlechter. Zu den Aufwärtsrisiken gehören 1) ein umfangreiches Anhäufen überschüssiger Ersparnisse der privaten Haushalte, die einen ausgesprochen starken Konsumboom anheizen (und gleichzeitig vermutlich zu einer höheren Inflation beitragen), 2) ein erhöhtes Innovationstempo und ein höheres Produktivitätswachstum, das die Unternehmensgewinne und die Reallöhne stützt, oder 3) allgemein eher lockere Finanzierungsbedingungen, die Kreditvergabe und Investitionen weiterhin unterstützen.
Hingegen gehören zu den Abwärtsrisiken für den Basisausblick 1) eine höhere Inflation, die die Margen der Unternehmen drückt und die Realeinkommen der privaten Haushalte schmälert, 2) eine ökonomische Umverteilung, die lange dauert und vermehrt zu Langzeitarbeitslosigkeit führt, oder 3) sich dauerhaft verändernde Präferenzen der privaten Haushalte nach der Pandemie in Bezug auf Sparverhalten und Konsum.
Die Zentralbanken halten Kurs
Seit März 2021 haben viele große Industrieländer-Notenbanken begonnen, ihren geldpolitischen Kurs allmählich zu ändern. Die kanadische Notenbank (BOC) und die Bank of England (BOE) haben erste Schritte zur Normalisierung ihrer Geldpolitik unternommen, indem sie ihre Anleihenkäufe reduziert haben, während die Federal Reserve andeutete, dass sie bei der Sitzung im Juni ihre Pläne zur Verringerung ihrer Kaufprogramme diskutiert habe.
Die wichtigen Zentralbanken der Industriestaaten werden die Zinsen während unseres zyklischen Prognosehorizonts wahrscheinlich nicht erhöhen. Was den Ausblick betrifft, so erwarten wir weiterhin, dass die Fed im späteren Verlauf des Jahres 2021 eine allmähliche Drosselung ihrer monatlichen Ankäufe von Vermögenswerten einleiten und diese bis zum dritten Quartal 2022 beenden wird. Was den Zeitpunkt der Ankündigung angeht, halten wir es weiterhin für am wahrscheinlichsten, dass das bei der Dezember-Sitzung der Fed passieren wird; wir schließen jedoch eine Ankündigung bereits im September nicht aus. Der derzeitige Anstieg der US-Inflation ist wahrscheinlich nur vorübergehender Natur. Trotzdem könnte die Fed bestrebt sein, das Risiko einer unerwünschten, höheren Inflation und der damit einhergehenden Erwartungen aktiv managen zu wollen, indem sie ihre Tapering-Pläne maßvoll voranbringt. Dies würde der Fed auch die Option belassen, ihren Ausblick für etwaige Leitzinserhöhungen weiter flexibel zu halten, falls sich die höhere Inflation in den USA als hartnäckiger erweisen sollte.
Umgekehrt halten wir es für wahrscheinlich, dass die EZB den Kauf von Vermögenswerten (auch bekannt als quantitative Lockerung oder QE) über unseren zyklischen Prognosehorizont hinaus fortsetzt. Es ist zwar möglich, dass an den EZB-Kaufprogrammen kleine Anpassungen vorgenommen werden. Aber wir halten es für eher unwahrscheinlich, dass die EZB ihr Inflationsziel bis 2022 erreichen wird. Daher ist die Frage, wie die EZB einen nachvollziehbaren Weg und eine Strategie für die Beendigung der Käufe aufzeigen wird, vermutlich eine, die sich erst für unseren nächsten langfristigen (nicht zyklischen) Ausblick stellt.
Letztendlich halten wir fest: Wir rechnen zwar mit Änderungen an den QE-Programmen der Industrieländer-Notenbanken. Aber wir erwarten nicht, dass diese Notenbanken über unseren zyklischen Prognosehorizont hinweg die Leitzinsen anheben werden. Tatsächlich dürften die Zentralbanken in Kanada, Neuseeland und Australien mit den ersten Zinserhöhungen im ersten Halbjahr 2023 den Anfang machen, gefolgt von der Fed und der BOE im zweiten Halbjahr 2023. Die EZB, die in der vergangenen Dekade größere Schwierigkeiten hatte, ihr Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen, wird voraussichtlich nicht viel später eine Zinserhöhung ankündigen, wohingegen die japanische Notenbank weiterhin mit deflationären Tendenzen zu kämpfen hat.