In Depth Ist die Fiskalpolitik die neue Geldpolitik? Die Möglichkeiten der Geldpolitik sind mittlerweile fast ausgeschöpft. Könnte nun eine fiskalische Lockerung das Wachstum ankurbeln und uns aus dem Umfeld niedriger Zinsen bei geringem Wachstum befreien, in dem wir uns seit zehn Jahren befinden?
Die großen Zentralbanken rund um den Globus kehren in diesem Sommer zu einer akkommodierenden Geldpolitik zurück. Nach zehn Jahren und Milliarden Dollar, Euro bzw. Yen schweren Stimulierungsmaßnahmen scheint der Geldpolitik jedoch die Puste auszugehen. Könnte stattdessen eine Lockerung der Finanzpolitik das Wachstum in Fahrt bringen und das ökonomische Paradigma aus niedrigen Zinsen und geringem Wirtschaftswachstum auflösen? International wird der Ruf nach einer fiskalischen Lockerung immer lauter. Der Aufstieg populistischer Parteien in den vergangenen Jahren hat dazu geführt, dass sich neben führenden Populisten auch einflussreiche Wissenschaftler verstärkt für eine fiskalische Lockerung aussprechen. So betonen etwa Olivier Blanchard und Larry Summers, dass Schuldenmachen im aktuellen Niedrigzinsumfeld erschwinglicher sei. Wie Abbildung 1 zeigt, liegen die Staatsanleihenrenditen in den meisten wichtigen Industrieländern inzwischen unter der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP), sodass die Regierungen sich dauerhaft ein Primärdefizit leisten können, ohne dass die Staatsschulden gemessen am BIP steigen. Führende Politiker weltweit, vom früheren US-Notenbankchef Ben Bernanke über den derzeitigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi bis hin zu seiner Amtsnachfolgerin Christine Lagarde, fordern ebenfalls, dass Länder mit solider Finanzlage ihre Ausgaben erhöhen sollten. Noch extremer sind die Verfechter einer modernen geldpolitischen Theorie, die sich für eine Lockerung der Fiskalpolitik aussprechen. Sie betonen, dass Regierungen bei Schulden in ihrer Landeswährung nie einen Ausfall befürchten müssten, da sie zur Not jederzeit die Notenpresse anwerfen könnten. Die meisten führenden Politiker und Experten sind sich zwar einig, dass eine fiskalische Lockerung stimulieren kann, der fiskalpolitische Effekt hänge jedoch von mehreren Faktoren ab. In diesem Zusammenhang beleuchten wir folgende drei Szenarien: Effektiv: Der Standard-Wirtschaftstheorie zufolge führen höhere Staatsausgaben dazu, dass Output und Teuerungsrate steigen, die Nominal- und Realzinsen in die Höhe schnellen, die Renditekurve steiler wird und riskante Vermögenswerte profitieren. Wenn sich diese expansive Politik auf ein Land, beispielsweise die USA, konzentriert, dürfte die Lockerung die Währung des Landes stärken. In der Folge steigen die Importe, und die Leistungsbilanz des Landes verschlechtert sich. Ineffektiv: Wenn der fiskalische Impuls als vorübergehend eingestuft und zur Wiederherstellung eines ausgewogenen Haushalts rasch wieder umgekehrt wird, könnte der Privatsektor auf jede zusätzliche Erhöhung der Staatsausgaben in Erwartung einer künftigen Ausgabendrosselung mit verschärften Sparanstrengungen reagieren. Somit würde ein Positiveffekt auf die Wirtschaftsaktivität und die Anleihenpreise wohl weitgehend verfehlt. Das käme einem „Japan-Szenario“ gleich. Denn Japan ist es trotz eines Haushaltsdefizits von mehreren Billionen Yen in den vergangenen 20 Jahren nicht gelungen, Wachstum und Inflation deutlich anzukurbeln. Kontrollverlust: In diesem Szenario hat die fiskalische Lockerung negative makroökonomische Auswirkungen, da die politisch Verantwortlichen die Kontrolle über das System verlieren. In der Regel finanzieren verschwenderische Regierungen ihre fiskalische Lockerung, indem sie die Notenpresse anwerfen. Entweder sind die institutionellen Strukturen anfangs nicht solide oder werden als Reaktion auf die lockere Politik fragil. Dadurch verlieren die Märkte und Wirtschaftsakteure das Vertrauen in das institutionelle System. In der Folge schnellt die Inflation nach oben, Wachstum und Risikoaktiva geben nach, die Zinsen steigen, und die Währung wertet ab. Einige Schwellenländer haben dieses Szenario bereits erlebt. Lehren aus der Vergangenheit Um unsere Szenarien auf den Prüfstand zu stellen, identifizieren wir seit 1970 54 fiskalische Expansionen in 20 verschiedenen Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und normieren verschiedene Makro- und Marktvariablen, um sie vergleichbar zu machen. Wie Abbildung 2 zeigt, stellen wir fest, dass die fiskalische Lockerung häufig das Output- und Inflationsniveau in die Höhe treibt (Letzteres mit einer gewissen Verzögerung), die Zinsen ansteigen lässt und die Währung stärkt. Die Leistungsbilanzen verschlechtern sich häufig, während sich Risikoaktiva im Allgemeinen kräftig erholen. Diese Beziehungen sind zwar nicht perfekt, und vielleicht sind in Phasen der fiskalischen Lockerung auch andere Kräfte mit im Spiel. Aber die allgemeine Aussage scheint die herkömmliche Theorie zu stützen, wonach die fiskalische Lockerung Volkswirtschaften in Schwung bringt. Diese Effekte verblassen jedoch meist rasch. Unternehmen reagieren auf einen fiskalischen Impuls anfangs häufig mit Neueinstellungen und Produktionssteigerungen. Nach einiger Zeit, wenn sich die Produktion der vollen Kapazität nähert, erhöhen die Unternehmen jedoch langsam die Preise, und die Wirtschaft kehrt wieder zum Ausgangspunkt zurück, nur auf einem höheren Preisniveau. Wenn die Zentralbank als Reaktion auf die fiskalische Lockerung auch ihre Leitzinsen erhöht, um die Inflation im Zaum zu halten, werden auch die kurzfristigen Expansionseffekte stärker gedämpft. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Wirkung der Steuersenkungen von US-Präsident Trump im Jahr 2018 schnell verpufft ist. FISKALISCHE LOCKERUNG: LANGFRISTIG DENKEN Unsere Studie zeigt zwar, dass die Auswirkungen einer fiskalischen Lockerung in der Regel nur von kurzer Dauer sind, gleichzeitig sind die meisten Beispiele für fiskalische Expansionen größenmäßig und zeitlich begrenzt. Ein entschlossenerer Schritt in Richtung expansive Fiskalpolitik über einen mehrjährigen Zeitraum könnte jedoch längerfristige Auswirkungen auf Aktivität, Inflation und Vermögenspreise haben, vor allem in Verbindung mit einer Fortsetzung der akkommodierenden Geldpolitik. Letztendlich sind wir der Ansicht, dass eine langfristige Lockerung der Fiskalpolitik das Potenzial hat, das seit der Finanzkrise vorherrschende Klima niedriger Inflation und geringen Wachstums zu beenden, da sie gleichzeitig zwei Dinge bewirkt: Anstieg des Investitionsbedarfs: Sofern die Haushaltsausgaben in öffentliche Investitionen fließen,könnten sie direkt zu einem höheren Bedarf führen und die "langfristige Stagnation" ausgleichen, die den Investitionsbedarf generell dämpft. Verringerung des Sparaufkommens: Große Haushaltsdefizite könnten die Ersparnisse im Privatsektor verschlingen, die angesichts einer fleißig sparenden, alternden Bevölkerung weltweit gestiegen sind. Dieses Sparverhalten wurde auch durch die größere Risikoscheu nach der Finanzkrise von 2008 begünstigt. Wie Abbildung 3 (erste Grafik) zeigt, haben die höheren Ersparnisse (oder Kapitalangebot, grüne Linie) und die geringere Investitionsbereitschaft (oder Kapitalbedarf, blaue Linie) zum aktuell hartnäckig niedrigen Zinsumfeld geführt. Ein kräftiger fiskalischer Impuls kann diese Kräfte ausgleichen, da er die Investitionsnachfrage ankurbelt, das Sparaufkommen reduziert und damit langfristig einen Anstieg der Realzinsen beschert. Wie wahrscheinlich ist ein Paradigmenwechsel hin zu einer aggressiveren Fiskalpolitik? Wir gehen zwar davon aus, dass die Fiskalpolitik langfristig eine aktivere Rolle spielen wird, glauben aber nicht an einen Paradigmenwechsel aus, der die globale Ersparnisschwemme so weit reduziert, dass wir aus dem L-förmigen Wachstumsmodell der „Neuen Normalität“ herauskommen. In einem kürzlich erschienenen Beitrag haben wir beispielsweise erörtert, dass sich die Zinsen in den USA beim nächsten Konjunkturabschwung der Null-Marke nähern oder darunter sinken könnten. Der zunehmende Druck durch populistische Bewegungen, die niedrigen Kreditzinsen sowie der begrenzte geldpolitische Spielraum und die eingeschränkte Effektivität machen einen Paradigmenwechsel in den kommenden Jahren jedoch wahrscheinlicher. Unserer Ansicht nach ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Wechsels im anglophonen Raum am wahrscheinlichsten. Nachfolgend unsere Bewertung nach Regionen: USA & Großbritannien: Fähigkeit zur Bewältigung eines Haushaltsdefizits: Das Haushaltsdefizit in Großbritannien befindet sich auf dem tiefsten Stand seit 17 Jahren, was Politikern einen gewissen Spielraum beschert. Die USA können sich dagegen die wachsende Verschuldung gemessen am BIP dank der weltweiten Nachfrage nach US-Schatzanleihen mit ihrem Status als „sicherer Haften“ leisten. Beide Länder genießen ferner die Unterstützung ihrer jeweiligen Zentralbank als wichtigen Anker. Was die allgemeine Bereitschaft betrifft, scheinen die meisten politischen Parteien Großbritanniens für eine fiskalische Expansion offener zu sein – insbesondere seit der Entscheidung für einen Austritt des Landes aus der EU. In den USA hängt der Paradigmenwechsel unterdessen vom Zusammenhalt der Institutionen (Präsident und Kongress gehören zur selben Partei) sowie von der Frage ab, ob die Regierung im Kongress eine ausreichende Mehrheit erlangt. Die Hürde dafür ist weiterhin relativ hoch, sodass ein Kurswechsel bei der US-Fiskalpolitik derzeit nicht Teil unseres Basisszenarios ist. Europa: Die fiskalische Lockerung bewegt sich seit dem Maastricht-Vertrag von 1992 in engen Grenzen. Die Länder, die sich eine Lockerung tatsächlich leisten können, wie Deutschland und die Niederlande, scheinen kaum dazu gewillt zu sein. Demgegenüber sind Länder wie Italien, die bereit sind, ihre Ausgaben zu erhöhen, am wenigsten dazu in der Lage. Daneben wird die Eurozone dadurch gebremst, dass die EZB beim Kauf nationaler Anleihen institutionellen und politischen Zwängen unterliegt. Daher erwarten wir in unserem Basisszenario langfristig keine nennenswerte fiskalische Expansion in der Eurozone. Japan: Möglicherweise wird Japan langfristig zu einer aggressiveren Fiskalpolitik übergehen. Da hiermit bislang kaum Erfolge erzielt wurden, wäre dies aber wohl kaum ein Paradigmenwechsel, zudem wäre der Effekt wahrscheinlich geringer als in den USA. Außerdem ist die sehr hohe Anfangsverschuldung bereits ein Hindernis, und die für Ende dieses Jahres geplante Mehrwertsteuererhöhung wirft Fragen über die Bereitschaft des Landes auf, seine Fiskalpolitik zu lockern. Was, wenn die USA sich für einen Alleingang entscheiden? Wenn sich die abzeichnende deutliche fiskalische Lockerung auf die USA konzentriert, dürften die oben beschriebenen Auswirkungen für die US-Wirtschaft wesentlich stärker ausfallen als für den Rest der Welt. In diesem Szenario könnte sich die Zinsdifferenz zwischen den USA und der Eurozone verfestigen, der US-Dollar würde höchstwahrscheinlich aufwerten, und das Leistungsbilanzdefizit des Landes würde wachsen (während der fiskalischen Lockerung unter dem früheren US-Präsidenten Reagan in den 1980er-Jahren hatte sich die Leistungsbilanz um rund drei Prozent des BIP verschlechtert). Dadurch könnte die seit der Finanzkrise beobachtete Verbesserung der Leistungsbilanzungleichgewichte, wie in Abbildung 4 dargestellt, ins Stocken geraten: Die USA haben ihre Ölproduktion erhöht, die Energieimporte verringert und damit ihr Außenhandelsdefizit verbessert. Das hat im Gegenzug zu einem Rückgang des Überschusses in Ländern geführt, die Öl in die USA exportiert haben. Darüber hinaus führt China mehr Dienstleistungen ein (vorwiegend durch den Tourismus) und verringert dadurch den seit Langem bestehenden Überschuss. Der Überschuss in der Eurozone ist, angefacht durch einen schwachen Euro, die Korrektur der Leistungsbilanzdefizite in den wirtschaftlich angeschlagenen Ländern der Peripherie und einen anhaltend hohen Überschuss in der Exportnation Deutschland, gestiegen und hat die allgemeine Verbesserung der globalen Ungleichgewichte teilweise zunichte gemacht. Wenn die USA also im Alleingang eine fiskalische Lockerung einleiten, würden die stärkere Binnennachfrage und die entsprechende Importnachfrage das Außenhandelsdefizit des Landes erneut in die Höhe treiben und die globalen Leistungsbilanzungleichgewichte weiter verschärfen. Das könnte mehrere Folgen haben: Anheizen des Protektionismus und dadurch Erhöhung der politischen Risiken weltweit. Gefährdung des weltwirtschaftlichen Gleichgewichts durch stärkere Konzentration der Treiber für die Endnachfrage. In besonders hoch verschuldeten Ländern könnte eine Kapitalflucht drohen, sodass Finanzierungsmöglichkeiten plötzlich versiegen dürften. Bei diesem Szenario wären auch das Risiko einer wirtschaftlichen Überhitzung, von Vermögenspreisblasen und ein starker Zinsanstieg in diesen Ländern nicht auszuschließen. Daher wäre unseres Erachtens eine breit angelegte fiskalische Expansion günstiger als eine Expansion, an deren Spitze sich ein Land mit einem Außenhandelsdefizit setzt. Schlussfolgerungen für unsere Anlagen Wie wir in unserem Langfristigen Ausblick erläutert haben, bleiben wir auf eine Fortsetzung des L-förmigen Wachstumsmodells der „Neuen Normalität“ in den nächsten Jahren positioniert. Gleichzeitig mahnen uns mögliche disruptive Trends wie etwa Populismus und eine Abkühlung in China zur Vorsicht. Angesichts der disruptiven Kräfte erscheint ein Paradigmenwechsel zugunsten einer aggressiven Lockerung der Fiskalpolitik in Zukunft wahrscheinlicher, da die Regierungen sich bemühen, den weltweiten wirtschaftlichen Herausforderungen entgegenzusteuern.Wir werden die politischen Entwicklungen in dieser Hinsicht sorgfältig beobachten und sind bereit, unsere Strategien an ein neues Szenario aus höherem Wachstum, Inflation und Zinsen anzupassen, wenn die führenden Politiker weltweit ihre Fiskalpolitik lockern. Lesen Sie PIMCOs aktuellen langfristigen Ausblick mit dem Titel „Marktumbrüche meistern“, um weitere Einblicke in die langfristigen Aussichten der Weltwirtschaft sowie Schlussfolgerungen für Anleger zu gewinnen. ERFAHREN SIE MEHR
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