Blickpunkt Energiewende: Der steinige Weg in eine grüne Welt Höhere Energiepreise können zu mehr Investitionen in Technologien der Energiewende führen. Auf dem Weg in eine grünere Zukunft erwarten wir jedoch eine Phase der Volatilität und Verwundbarkeit.
Im vergangenen Jahr hat ein starker Anstieg der Energiepreise – einschließlich Erdgas, Kohle und Öl – zu erneuten Befürchtungen beigetragen, dass höhere Faktor-Kosten die Industrieproduktion einschränken, die Realeinkommen der Haushalte reduzieren und die Wirtschaftstätigkeit bremsen könnten. Im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie liegen die globalen Rohölpreise nun um rund 50 Prozent höher. Im historischen Kontext betrachtet, ist dies nicht ungewöhnlich: Seit den 1990er- Jahren ist der Ölpreis im Jahresvergleich etwa alle drei Jahre einmal um mehr als 50 Prozent gestiegen. In den USA gibt es zwar die berechtigte Befürchtung, dass höhere Energiepreise als regressive Steuer für die Verbraucher wirken könnten. Die Gesamtbelastung durch höhere Ölpreise liegt jedoch noch deutlich unter den Höchstwerten der Vergangenheit. Der langfristige Übergang weg von Kohlenstoff und hin zu grüner Energie wird jedoch sehr wahrscheinlich durch eine Phase allgemein höherer und volatilerer Energiepreise gekennzeichnet sein. Die steigenden Preise und Preisschwankungen, die wir derzeit sehen, beruhen auf der unangenehmen Einsicht, dass uns die grünen Energie-Initiativen verletzlicher gemacht haben. Akzentuiert wird das durch die geopolitischen Risiken, die jüngst eskaliert sind. Abschied vom Kohlenstoff Die jüngsten Entwicklungen im Krieg Russlands gegen die Ukraine haben die Volatilität am Energiemarkt erhöht und ganz generell zu höheren Preisen beigetragen. Die Volatilität setzte jedoch schon ein, bevor diese Spannungen eskalierten. Das deutet darauf hin, dass die Preistreiber tiefere Wurzeln haben als die derzeit größeren geopolitischen Risiken. Tatsächlich fand der jüngste Preissprung inmitten struktureller Veränderungen auf den Energiekapitalmärkten statt, da die Weltwirtschaft unter Druck steht, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Die schlechten Renditen haben viele Energieunternehmen zudem dazu veranlasst, der Sanierung ihrer Bilanzen und der Rückführung von Kapital an die Anleger Vorrang einzuräumen. Die normale Reaktion auf höhere Preise – das Aufstocken der Investitionen und der Produktion – fand deshalb nicht im gewohnten Ausmaß statt. Darüber hinaus bedeutet die Notwendigkeit einer dramatischeren Umverteilung von Ressourcen zur Erreichung der Pariser Klimaziele, dass fossile Brennstoffpreise wahrscheinlich nicht nur hoch bleiben werden, sondern sogar weiter steigen müssen: Um die ökonomischen Anreize zu schaffen, die notwendige Investitionen in grüne Energie fördern, was am Ende des Tages zu wieder fallenden Preisen führen sollte, sind zunächst höhere Preise für kohlenstoffbasierte Energie erforderlich. Staatliche Maßnahmen zur Förderung dieses Wandels verkomplizieren die Situation zusätzlich. Eine Politik, die darauf abzielt, höhere Kohlenstoffemissionen einzuschränken und die Kohle- und Kernenergienutzung zu reduzieren, haben viele der Energiequellen, auf die sich ganze Volkswirtschaften verlassen, auf das Abstellgleis befördert. Die Folge: Die Sicherheit der Energieversorgung wird immer anfälliger für volatile Wetterereignisse. Die jüngste Ankündigung Deutschlands, die Zertifizierungsprüfung für die Nord-Stream-2-Pipeline, die zusätzliches Erdgas aus Russland nach Europa transportiert hätte, auszusetzen, hat diese Probleme nur noch verschärft. Ohne ausreichende Reserven werden viele Volkswirtschaften wahrscheinlich mit einem höheren Maß an Energieunsicherheit konfrontiert sein – und infolgedessen anfälliger werden für sogar nur moderate Energieschocks. Diese größere Anfälligkeit könnte auf die allgemeine politische und insbesondere die geldpolitische Sphäre ausstrahlen. Die Folge wäre eine volatilere und mit größeren Unsicherheiten behaftete Politik. Alle diese Faktoren wiederum verschärfen vermutlich auch die Unsicherheiten für nachgelagerte Unternehmen. Mit anderen Worten – und wie wir in unserem jüngsten langfristigen Ausblick erörtert haben: Der Wandel von „braun“ zu „grün“ ist einer der Gründe, weshalb wir glauben, dass das Jahrzehnt des „New Normal“ vor der Pandemie mit moderatem, aber stabilem Wachstum, einer unter dem Zielwert liegenden Inflation und mäßiger Volatilität größtenteils hinter uns liegen dürfte. Parallel dazu könnte die erhöhte Präferenz zum Sparen (um mehr Resilienz in Zeiten der Unsicherheit zu generieren) den Aufwärtsdruck auf die Zinssätze durch größere Investitionen (in eine grünere Zukunft) ausgleichen und letztlich dazu beitragen, das Zinsniveau niedrig zu halten. Höhere Energiepreise sind der Schlüssel für den grünen Wandel Viele Ökonomen sind sich darin einig, dass wir einen globalen Preis für Kohlenstoff benötigen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Der Hauptzweck der Bepreisung von Kohlenstoff ist die Reduzierung der Emissionen, die zur globalen Erwärmung beitragen. Kohlendioxid ist ein externer Effekt bei der Herstellung energieintensiver Güter. Die Verteuerung dieser Güter wiederum führt zu einer Abkehr von Verbrauchern und Produzenten. Höhere Energiekosten sind auch ein starker Anreiz für Investitionen in alternative, kohlenstoffärmere Energiequellen. Aber um wie viel müssen die Energiepreise noch steigen? Einer aktuellen Reuters-Umfrage zufolge schätzen Klima-Ökonomen, dass der Preis für Kohlenstoff im Durchschnitt 100 Dollar pro Tonne betragen müsste, um bis zum Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Allerdings sind derzeit nur 22 Prozent der weltweiten Emissionen mit einer Kohlenstoffsteuer belegt und/oder durch ein Handelssystem abgedeckt. Das Gros der Kohlenstoffpreise liegt zudem nur bei einem Bruchteil der geschätzten 100 Dollar pro Tonne. Nur an wenigen Orten der Welt sind diese Steuern oder Kohlenstoffpreise hoch genug, um das Verhalten der Menschen tatsächlich zu ändern. Folglich müssen die Energiepreise wahrscheinlich noch weiter steigen, um die notwendigen Anreize zur Senkung der Emissionen zu schaffen. Unterschiedliche Ansätze in den entwickelten Volkswirtschaften Obwohl die meisten Ökonomen der Meinung sind, dass die Festsetzung eines expliziten Preises für Kohlenstoff der effizienteste Weg ist, um die Emissionen zu senken, standen Länder mit einigen der ambitioniertesten Preis-Regimes für Kohlenstoff, namentlich Europa, im Mittelpunkt des jüngsten Anstiegs der Energiepreise. In der EU werden die Kohlenstoffpreise im Rahmen des Emissionshandelssystems festgesetzt. Sie haben zuletzt einen Wert von 97 Euro pro Tonne (etwa 110 US-Dollar) erreicht. Diese Preise sind zwar ein starker Anreiz für Investitionen in erneuerbare Energiequellen. Aber es braucht Zeit, um zusätzliche Energiekapazitäten zu erschließen. Trotz höherer Preise für Kohlenstoff ist die Substitution von Kohle durch Erdgas erlahmt. Der Grund ist die Gasknappheit, was zu wesentlich höheren Erdgaspreisen in Europa geführt hat. Ohne eine Bepreisung von Kohlenstoff wäre dieser Anstieg wohl nicht so heftig ausgefallen. Diese höheren Preise wirken sich wiederum auf die gesamte Lieferkette aus. Sie verteuern die Produktionskosten und mindern die Realeinkommen der Haushalte. In den USA haben ein Dutzend Bundesstaaten ebenfalls Märkte für Kohlenstoff etabliert. Der Fokus der Regierung in Washington lag jedoch darauf, die Emissionen durch eine strengere Regulierung der Erschließung und Entwicklung der fossilen Kraftstoffe implizit zu bepreisen. Dies und die höheren Kapitalkosten auf den globalen Märkten haben die US-amerikanische Öl- und Gasindustrie belastet und dazu geführt, dass die ÖlschieferpProduktion in den USA als Reaktion auf die gestiegenen Weltmarktpreise viel langsamer hochgefahren wurde (die geringere US-Produktion wiederum trug zu genau diesen höheren Preisen bei). Im Gegensatz zu Europa haben die USA jedoch von einem relativen Überfluss an Erdgas profitiert. Die Erdgaspreise in den USA sind weitgehend vom Rest der Welt entkoppelt, was die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die heimische Industrie, die Verbraucher und die Haushalte abmildert. Mehr Investitionen in die Energiewende sind nötig Höhere Preise für fossile Kraftstoffe und „grüne“ Initiativen der US-Regierung haben Investitionen in erneuerbare Energien gefördert und den Bestand an Elektrofahrzeugen wachsen lassen. Um die Energienachfrage zu decken und eine stabile Versorgung zu gewährleisten, sind jedoch weitaus mehr Investitionen erforderlich. Die bis dato erzielten Fortschritte reichen nicht aus – die Energiesicherheit rund um den Globus bleibt von Wetterkapriolen abhängig. Fossile Brennstoffe und Kernkraftwerke sind in Misskredit geraten. Gleichzeitig haben sich Investitionen in Energiespeicher (große Batterien) verzögert. Das macht es umso notwendiger, Puffer für Überkapazitäten zu schaffen, um wetterbedingte Schwankungen bei der Produktion erneuerbarer Energien abzufedern. Es besteht zwar Hoffnung auf technologische Durchbrüche bei der Speicherung von Energie, und die Investitionen in diesem Bereich konnten zulegen. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Energieversorgung über unseren langfristigen Horizont von wechselnden Energieträgern dominiert werden wird, und es nicht nur eine einzige verlässliche Quelle geben wird. Energiepreise betreffen fast alle Branchen Höhere Energiepreise haben weit größere Auswirkungen als die Heizkosten im Winter und die Benzinpreise an der Zapfsäule. Sie tragen auch zu höheren Produktionskosten für einen Großteil der Waren bei. Höhere Energiepreise verteuern beispielsweise Ammoniak-Dünger (der mit Erdgas hergestellt wird), was wiederum die Preise der meisten landwirtschaftlichen Erzeugnisse steigen lässt. In den USA sind die Preise für Lebensmittel in den vergangenen zwölf Monaten bis Januar 2022 bereits um 6,7 Prozent gestiegen – das ist der höchste Anstieg binnen eines Jahres seit den 1990er-Jahren (Quelle: U.S. Bureau of Labor Statistics). Die Inflation der Lebensmittelpreise hat sich auch in Europa beschleunigt. Weitere Preiserhöhungen werden wahrscheinlich folgen. Höhere Energiepreise wirken sich auch auf Transport, Herstellung und Vertrieb nahezu aller Produkte aus. Für die Industrieländer schätzen wir, dass ein Anstieg der Ölpreise um zehn Prozent die Verbraucherpreise in der Vergangenheit um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte steigen ließ. Diese historische Quote für die weiterverrechneten Kosten mag zwar gering erscheinen. Aber die Aussicht auf anhaltend höhere Preise könnte die Hersteller dazu veranlassen, einen größeren Teil der zusätzlichen Kosten in Zukunft weiterzugeben. Die wichtigsten Erkenntnisse: Inflation, Politik, Investitionen Höhere und stärker schwankende Energiepreise haben erhebliche Auswirkungen auf Inflation und Wirtschaftsleben. Für unseren Langfristausblick heißt das: Kohlenstoff könnte ein wichtiger Inflationstreiber sein. Vor allem deshalb, weil Weltregionen mit einer Kohlenstoffpepreisung wie etwa die EU versuchen, grenzübergreifende Ausgleichsmechanismen einzuführen, um ihre Kohlenstoffpolitik wirkungsvoll in andere Länder zu exportieren. Dies wiederum wird Auswirkungen auf die Politik und die Geldpolitik haben. Ohne staatliche Energiesubventionen zur Abfederung der rückläufigen Realeinkommen ist nach unserer Auffassung eine konjunkturelle Nachlaufreaktion nicht zu vermeiden. Unterdessen könnte eine anhaltende Inflation der Energiepreise die längerfristigen Inflationserwartungen steigen lassen und trotz der angebotsseitigen Natur des Preisschocks zu einer strafferen Geldpolitik führen. In der Tat beeinflussen die Energiepreise möglicherweise bereits den (geld-)politischen Ausblick der Zentralbanken der Industrieländer, so zum Beispiel der Europäischen Zentralbank. Schließlich dürften eine erwartete höhere Volatilität der Einkaufspreise und ein allgemein unsicheres Geschäftsklima bedeutende Auswirkungen auf nachgelagerte Unternehmen haben. Viele Unternehmen haben ihren Fokus bereits auf Ausfallsicherheit statt auf Effizienz verlagert. Dies spricht für höhere Bargeldreserven, Kapazitäten und Lagerbestände, um potenziell häufiger auftretende Schocks abzufedern. Dieser Trend hin zu mehr Resilienz (also dem Vorrang von Einsparungen gegenüber Investitionen) kann dazu beitragen, den Zinsdruck zu neutralisieren, der mit den höheren Investmentanforderungen des grünen Wandels einhergeht.
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