Wodurch unterscheiden sich Industrieländer von Schwellenländern? Letztere bieten heute nicht nur mehr Wachstum als Industrieländer, sondern auch beneidenswerte Bilanzen.

Im folgenden Interview sprechen die Portfoliomanager Michael Gomez und Lupin Rahman über die Entwicklung der Schwellenländer, die Herausforderungen, denen sich die Politik stellen muss, sowie die Chancen und Risiken für Anleger.

Frage: Wie sind die langfristigen Aussichten für die Schwellenländer?

Gomez: Die Bedeutung der Schwellenmärkte für die Weltwirtschaft nimmt immer mehr zu. Dieser Trend dürfte unserer Einschätzung nach die nächsten drei bis fünf Jahre anhalten und sich möglicherweise noch verstärken.

Langfristig erwarten wir für die Schwellenländer ein moderateres Wachstum, das aber dennoch die Wachstumsraten in Europa und den USA übertrifft. Während wir zuvor für die kommenden Jahre eine Wachstumsrate von 6 % erwartet hatten, liegt unsere Prognose für diese Länder zurzeit bei 5 %. Dies ist jedoch immer noch besser als das 1%-Wachstum, das wir jetzt für die Industrieländer erwarten, nachdem wir unsere frühere Wachstumsprognose von 2 % nach unten korrigieren mussten.

Dies dürfte sich in einem größeren Anteil der Schwellenländer an der Weltwirtschaft niederschlagen: Im Laufe der nächsten Jahre werden voraussichtlich mehr als 50 % des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf die Schwellenmärkte entfallen. Es könnte allerdings sein, dass sich diese langfristige Konvergenz in den kommenden Jahren volatiler entwickelt, da wahrscheinlich auch die Emerging Markets unter den erheblichen Wachstumshindernissen und der Ungewissheit leiden werden, die von den Industrieländern ausgehen.

Frage: Könnten Sie uns etwas mehr dazu sagen, wie die Aussichten für die führenden Volkswirtschaften – Indien, Brasilien, Russland und China – sind und welche Politik diese Länder verfolgen?

Rahman: Ein wichtiger Faktor für Anlagen in Regionen wie diesen ist, dass die Differenzierung unter den verschiedenen Schwellenländern wohl wesentlich stärker sein wird als vor der Krise. Dies wird vor allem von der Ausgangslage der jeweiligen Volkswirtschaft abhängig sein, das heißt von ihrer Bilanz und ihren Guthabenpolstern, aber auch davon, ob die Politik in der Lage ist, auf Schocks im In- und Ausland flexibel zu reagieren. Wenn der globale Hintergrund in den kommenden Jahren, wie von uns erwartet, unsicherer und volatiler wird, dürfte dies dazu führen, dass einige Volkswirtschaften besser abschneiden und sich schneller entwickeln als andere. Zudem sehen wir in verschiedenen Bereichen erheblichen Reformbedarf, dem sich die politisch Verantwortlichen stellen müssen.

In Brasilien wird es wohl zu einer gewissen Mäßigung des Wirtschaftswachstums kommen, da der durch die große Rohstoffnachfrage der zurückliegenden zehn Jahre ausgelöster Schwung nachlässt. Das Gegengewicht dazu bildet der enorme Binnenmarkt dieses Landes. Es besteht daher ein erheblicher Spielraum für einen Ausgleich des Rückgangs der externen Nachfrage durch zunehmende Inlandsnachfrage. Hinzu kommt, dass Brasilien bei wichtigen strukturellen Faktoren – zum Beispiel dem ungewöhnlich hohen realen Zinssatz und der Konzentration auf staatlich gelenkte Investitionen – Fortschritte erzielt. Wir glauben jedoch, dass noch einiges zu tun bleibt, um die Staatsausgaben zu senken und Anreize für private Investitionen und unternehmerisches Engagement zu schaffen.

Russlands Volkswirtschaft zeichnet sich durch zwei Pluspunkte aus, die ihr langfristig helfen könnten, dem externen Gegenwind standzuhalten: erhebliche Währungsreserven und die zunehmende Flexibilität des Rubels. Allerdings muss Russland stärker in den Energiesektor investieren und die starke Abhängigkeit seiner Wirtschaft vom Erdöl reduzieren, da die Nachfrage weltweit abnimmt und die Exploration alternativer Energiequellen zunimmt. Wir werden nicht nur die Entwicklung in diesem Bereich genau verfolgen, sondern auch, wie Putins Regime auf die Forderung nach mehr Demokratie und politischer Repräsentation reagiert.

Für Indien sehen wir enormes Wachstumspotenzial, jedoch auch große und signifikante wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Diese sind zumeist auf politischen Stillstand und mangelnde Fortschritte bei der Lösung struktureller Probleme zurückzuführen. Die Lage spitzt sich immer mehr zu, und das Land steht vor wichtigen Herausforderungen.

Was China angeht, wird es unseres Erachtens darauf ankommen, ob die Volkswirtschaft, die sich bislang auf den Export gestützt hat, auf ein Modell umstellen kann, bei dem das Wachstum auf der Inlandsnachfrage basiert. Entscheidend dafür wird auch sein, ob der für 2013 vorgesehene politische Übergang diesen Prozess fördert oder behindert. (Mehr Informationen über China finden Sie in dem Beitrag „Secular Outlook Q&A on Asia“)

Frage: Wie dürfte sich die Zentralbankpolitik der Schwellenländer langfristig entwickeln?
Gomez: Um es mit den Worten zu sagen, die der PIMCO Chief Executive Mohamed El-Erian nach unserem Forum wählte: Da die Industrieländer ihre Geldpolitik zurzeit als Echtzeitexperiment betreiben, ist die Gefahr, dass die finanzielle Repression mittelfristig zunimmt, wahrscheinlich hoch.

Vor diesem Hintergrund werden die Zentralbanken der Schwellenländer vermutlich eine sehr entgegenkommende Geldpolitik betreiben. Allerdings werden sie zunehmenden Inflationsdruck, Störungen durch stark anschwellende Kapitalzuflüsse sowie, wie bereits erwähnt, ein geringeres und volatileres Wachstum zu bewältigen haben.

Man darf nicht vergessen, dass sich die Geldpolitik der meisten Zentralbanken nach den Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008 ergriffen wurden, noch nicht wieder völlig normalisiert hat. Unserer Einschätzung nach wird dies – im Zusammenspiel mit globalen Tendenzen zu Inflation und gedämpftem Wachstum – dazu führen, dass die Zentralbanken der Schwellenländer noch längere Zeit von Zinsänderungen absehen werden. Zudem werden sie zur Lockerung der Geldpolitik unverhältnismäßig stark auf andere Instrumente als Zinsen zurückgreifen, zum Beispiel auf Mindestreservepflichten, Liquiditätsbestimmungen und zielgerichtete Kreditvergabe.

Wir haben tatsächlich schon gesehen, dass die Zentralbanken bestimmter Schwellenländer ihre Politik umstellen und sich auf Inflations- und Wechselkursziele konzentrieren. In China ist dies schon seit einiger Zeit der Fall, und die gleiche Umstellung ist jetzt auch in Brasilien und in der Türkei deutlicher zu sehen. Wird eine solche Politik nicht umsichtig gehandhabt, birgt sie Risiken für die langfristige Glaubwürdigkeit der Zentralbanken. Letztendlich könnte sie sogar die Inflationserwartungen gefährden.

Abschließend ist dazu zu sagen, dass einige Zentralbanken der Schwellenländer versucht haben, Reformen schneller voranzutreiben, um so den strukturellen Realzins zu senken. Ein Beispiel dafür ist Brasilien, und auch in Mexiko könnte es dazu kommen. Dies läuft auf eine noch lockerere Geldpolitik hinaus und sollte mit einer produktiven und langfristigen Strukturreform verbunden werden.

Frage: Welche Auswirkungen hat die künftige Entwicklung der Eurozone auf diese Einschätzung?

Gomez: Das Geschehen in der Eurozone – und das Bedürfnis nach einer geordneten, dauerhaft tragfähigen Lösung der dort bestehenden Wachstums- und Schuldenprobleme – sind sowohl für die entwickelten Volkswirtschaften als auch für die Schwellenländer von allergrößter Bedeutung.

Die Emerging Markets sind mit relativ sauberen Bilanzen, einem vernünftigen Maß politischer Flexibilität und ausreichend Munition in Form internationaler Währungsreserven in diese Phase weltweiter Unsicherheit eingetreten.

Schuldenabbau und geringes Wachstum in Europa werden sich jedoch negativ auf Handel, Finanzierung und Wachstum in den Schwellenländern auswirken – das ist übrigens einer der Gründe dafür, dass wir unsere Wachstumsprognosen für diese Länder zurückgeschraubt haben. Am stärksten dürften jene Schwellenländer in Mitleidenschaft gezogen werden, die relativ hohe Schulden haben und am stärksten mit Europa verbunden sind.
Sollte es zu einem ungeordneten Auseinanderbrechen der Eurozone kommen, ist zweifellos damit zu rechnen, dass die negativen Auswirkungen auf die Schwellenländer mit denen in der Finanzkrise 2008 vergleichbar sein werden.

Frage: Wie sollten Anleger die Schwellenländer und potenzielle Portfolioanlagen dort beurteilen?

Rahman: Die Anleger sollten versuchen, in ihrem Portfoliomanagement die stärkere Differenzierung zu berücksichtigen, die wir langfristig bei den Schwellenländern erwarten. Dies kann man zum Beispiel dadurch erreichen, dass man die Anlagen auf Anleihen höherer Qualität konzentriert, insbesondere auf solche von Unternehmen mit soliden Bilanzen und geringer Verschuldung sowie von Unternehmen, die das Potenzial haben, auch einer negativeren globalen Entwicklung standzuhalten. Um diese zu erkennen, sollten die Anleger alte Konzepte hinsichtlich der Unterscheidung von Anlagen in Schwellen- beziehungsweise Industrieländern neu überdenken. Es ist jetzt darauf zu achten, wie sich Anlagen verhalten – insbesondere wenn man die Wachstums- und Schuldendynamik in den beiden Märkten betrachtet.

Die Anleger sollten zudem über ihre Benchmarks nachdenken. Ein Vergleichsindex, in dem die Länder, die mehr zur Produktivität der Weltwirtschaft beitragen, eine höhere Gewichtung haben, ist unter Umständen vorteilhafter als einer, der auf der Marktkapitalisierung der Staatsschulden basiert und deshalb entwickelte Märkte mit höherem Verschuldungsgrad stärker gewichtet.

Gomez: Dem möchte ich noch ein eines hinzufügen: Wir rechnen damit, dass die Neuaustarierung der Weltwirtschaft weitergehen wird: Künftig werden die Industrieländer allgemein mehr sparen und die Schwellenländer generell mehr verbrauchen. Diese Veränderungen dürften die langfristige Aufwertung der Schwellenlandwährungen weiter stützen, wobei jedoch periodische zyklische Volatilität zu erwarten ist. Im
Mittelpunkt dieses Trends sehen wir die asiatischen Währungen, angeführt von der zunehmenden Internationalisierung des chinesischen Renminbis.

Insgesamt ist zu sagen, dass Anlagen in Schwellenländern langfristig nicht nur bessere Fundamentalwerte, sondern auch mehr Potenzial für höhere Renditen und überzeugendere Erträge bieten dürften als traditionelle Anlagen aus Industrieländern.

Autor

Lupin Rahman

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