Blog Lieferketten‑Krise: Unterbrechung dürfte zu größerer Diversifizierung führen Die Abhängigkeit der Lieferketten von China wird sich mit der Zeit verringern.
Wir gehen davon aus, dass die Lieferketten-Unterbrechungen in der ersten Hälfte 2022 weiterhin erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen und Haushalte haben werden. Die zweite Jahreshälfte könnte dann eine gewisse Erleichterung bringen, wenn China seine Null-Covid-Strategie sowie seine Politik der Stromrationierung lockert, und gleichzeitig der Arbeitskräftemangel in den USA nicht mehr so akut ist. Allerdings haben Russlands Krieg in der Ukraine und die Sanktionen zu weiteren Störungen geführt. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wird kurzfristig wahrscheinlich nur einen begrenzten Einfluss auf die Hightech-Lieferkette im asiatisch-pazifischen Raum haben, denn es gibt ausreichend große Lagerbestände bei wichtigen Rohstoffen (wie zum Beispiel Neongas und Palladium) für die nächsten vier bis sechs Monate. Jede längerfristige Unterbrechung der globalen Lieferkette könnte jedoch zu einem Anstieg der Preise für Computerchips und zu weiteren Verzögerungen bei der Auslieferung dieser Produkte führen. Wie wir in unserem jüngsten Konjunkturausblick mit dem Titel „Anti-Goldilocks“ erläutert haben, bleiben die Sanktionen auch nach einem potenziellen Ende des Kriegs in der Ukraine wahrscheinlich lange Zeit in Kraft und behindern den Fluss von Waren und Kapital. Das dürfte die Lieferkettenengpässe noch verschärfen. Langfristig erwarten wir, dass die jüngsten Störungen dazu führen werden, dass Unternehmen ihre Lieferketten weiter diversifizieren und den Anteil Chinas daran reduzieren werden. Andere Länder in Asien könnten davon profitieren. US-amerikanische Unternehmen sind von den Unterbrechungen der Lieferkette stark getroffen worden. Globale Lieferengpässe haben in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Hauptgründe sind die Pandemie und geopolitische Spannungen. Zunächst führte die Pandemie zu einem Rückgang der weltweiten Nachfrage. Allerdings haben fiskalische Anreize und der Konsum von Gütern anstelle von Dienstleistungen dazu beigetragen, diese wieder anzukurbeln. Das hat den Druck auf der Angebotsseite erhöht und einen Orderstau verursacht – von Autoteilen über Fertigungsmaschinen bis hin zur Logistik. Der Mangel an Lkw-Fahrern hat das Problem weiter verschärft. Fehlende Zuliefererprodukten und ins Homeoffice geschickte Mitarbeiter zwangen viele US-Unternehmen dazu, ihre Umsatzprognosen zu kürzen oder Gewinnwarnungen zu veröffentlichen. Auch die Staus in den Häfen bleiben eine Herausforderung: Die durchschnittliche Wartezeit in den Häfen von New York betrug Ende 2021 etwa fünf Tage. Im Durchschnitt des Jahres zuvor waren es nur 1,6 Tage.[1] Am 21. März warteten 44 Schiffe vor der Küste, um in die Häfen von Los Angeles und Long Beach einzulaufen. Nach Angaben der Seefrachtbörse von Südkalifornien war das immer noch eine hohe Zahl, bedeutete jedoch gegenüber dem Rekordwert von 109 im Januar einen Rückgang. Neben dem Mangel an Lkw-Fahrern verschärfen auch die Covid-Protokolle die Engpässe. Ein Beispiel: Seit dem 15. Januar müssen Lkw-Fahrer bei der Einreise nach Kanada einen Impfnachweis vorlegen. Nach Schätzungen der Canadian Trucking Alliance wird diese Maßnahme zu einem Rückgang der Zahl der über die Grenze pendelnden Lkw-Fahrer um zehn bis 15 Prozent führen. Die einwöchigen Proteste an der Ambassador Bridge, dem meistbefahrenen Grenzübergang Nordamerikas zwischen Ontario und Michigan, wurden zwar beendet. Doch könnte es in Zukunft zu ähnlichen Demonstrationen kommen, die die Transportrouten behindern. US-Unternehmen haben die unterschiedlichsten Maßnahmen ergriffen, um die Probleme in der Lieferkette zu lösen. Dazu gehören das Chartern von Frachtern, die Umleitung des Schiffsverkehrs zu kleineren Häfen an den Küsten und der vermehrte Einsatz von Luftfrachtlieferungen. Unternehmen mit stärker vertikal integrierten Produktionsprozessen oder diversifizierten Lieferketten – wie zum Beispiel Hersteller von Elektronik – kommen mit der Situation besser zurecht als ihre Konkurrenten. Denn sie haben im Lauf der Zeit ihren Fokus auf bestimmte Regionen in China verringert und einen größeren Teil ihrer Lieferkette über ganz Asien verteilt. Die Beschaffungszeiten sind jedoch nach wie vor hoch, da diese Maßnahmen nur teilweise geholfen haben und im Allgemeinen nicht skalierbar sind. Eine dauerhafte Verbesserung setzt voraus, dass sich die Arbeitsbedingungen weltweit normalisieren (von den Fabriken bis zu den Häfen und anderen logistischen Hot Spots) und der durch die Pandemie verursachte Nachfrage-Überhang vollständig abgebaut wird. Darüber hinaus müssen die Verhandlungen zwischen der International Longshore and Warehouse Union und der Pacific Maritime Association über den auslaufenden Westküsten-Vertrag im Auge behalten werden. Im Vorfeld der Unterzeichnung des aktuell gültigen Vertrags im Jahr 2015 wurden die Verhandlungen von viermonatigen Arbeitsniederlegungen begleitet, was den Umschlag in den Häfen beeinträchtigte. Soweit möglich, haben viele Kunden den Versand ihrer Waren mit Blick auf den am 30. Juni auslaufenden Vertrag auf Häfen an der Ostküste verlagert. Auf längere Sicht scheint es unvermeidlich, Teile der Lieferkette aus China abzuziehen. China ist seit Jahrzehnten ein wesentlicher Teil der globalen Wertschöpfungsketten. Aber die jüngste Krise, die teilweise von der Pandemie ausgelöst wurde, lässt Unternehmen vermehrt darüber nachdenken, wie sie solche Angebotsschocks in Zukunft minimieren können. Dazu gehört in jedem Fall, Abhängigkeiten von bestimmten Ländern zu reduzieren und den Kreis an Zulieferern zu diversifizieren. Wir glauben, dass Chinas Exporte auf kurze Sicht weiterhin von der robusten Lieferkette des Landes gestützt werden. Längerfristig jedoch, wenn China in der Wertschöpfungskette weiter nach oben klettert, ist eine gewisse Abwanderung der Lieferkette aus China unseres Erachtens unvermeidlich. Diese Veränderung zeigt sich am deutlichsten beim rückläufigen Exportwachstum von Mobiltelefonen (im Vergleich zu anderen Elektronikgeräten). Der Verkauf von Smartphones wird inzwischen von lokalen Marken dominiert. Chinas Demografie verändert sich. Die Bevölkerung altert, es werden künftig weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und das macht es nötig, dass die Fertigung sukzessive auf höherwertige Produkte umgestellt wird. Wir gehen zwar davon aus, dass sich die beschriebene Migration der Lieferkette schrittweise vollzieht. Doch könnte sich dieser Prozess durch geopolitische Spannungen und staatliche Anreize in Ländern wie Japan und Vietnam beschleunigen. Unserer Ansicht nach wird dies jedoch eher dazu führen, dass nicht chinesische Unternehmen ihre Lieferketten von China weg diversifizieren, als dass sie das Land ganz verlassen werden. Wir könnten auch einen Rückgang der chinesischen Importe erleben, wenn es der Volksrepublik gelingt, mittel- bis langfristig Halbleiter komplett in Eigenregie zu produzieren. Dies würde einen Teil des Rückgangs bei den Exporten ausgleichen. Anlagekonsequenzen Langfristig erwarten wir, dass die Unterbrechungen der Lieferketten sowohl Gewinner als auch Verlierer unter den US-Unternehmen hervorbringen werden. Chinas Hersteller kämpfen derzeit mit allerlei Gegenwind: Kapazitätsengpässe, Inflation, mangelhafte Energieversorgung und Null-Covid-Politik. Sie könnten deshalb versucht sein, größeren US-Unternehmen Vorrang einzuräumen. Bei den Lieferungen an kleinere US-Unternehmen könnte das zu weiteren Verzögerungen führen. Asiatische Unternehmen könnten aufgrund ihrer Nähe zu den Lieferketten dieser Weltregion ebenfalls profitieren – auf Kosten von kleineren US-amerikanischen und europäischen Unternehmen. Zu den Unternehmen, die am ehesten gut dastehen werden, gehören zum einen Technologiefirmen, die ihre Lieferketten in den vergangenen Jahren zügig angepasst haben. Zum anderen sind das Unternehmen, die ihre Lieferketten-Netzwerke konsolidiert und gestrafft haben, um ihr laufendes Geschäft besser planen zu können. Branchen, die wenig von Importen oder Exporten abhängig sind oder kundenspezifische Halbleiterchips herstellen, dürften ebenfalls besser abschneiden – dazu zählen chinesische Automobilhersteller und Internetdienstleister. In Asien könnten langfristig Länder wie Indien, Vietnam und Malaysia von der Abwanderung der Lieferkette aus China profitieren. Es wird jedoch Jahre dauern, bis die Produktion in diesen Ländern hochgefahren ist. Und die damit verbundenen Investitionsausgaben könnten sich als Belastung für die Unternehmensgewinne erweisen. Ein Mangel an leeren Containern könnte die globale Lieferkette weiter unter Druck setzen, wenn die Produktion in China nach dem chinesischen Neujahrsfest wieder anzieht. Die rekordverdächtig hohen Frachtraten kommen nicht nur den Container-Reedereien zugute, sondern auch indirekt den Containerhäfen, die höhere Gebühren für den Umschlag und auch für die Lagerung aufrufen können. Lesen Sie den vollständigen Konjunkturausblick „Anti-Goldilocks“, um einen detaillierten Ausblick für die Weltwirtschaft im laufenden Jahr und die daraus resultierenden Konsequenzen für Anleger zu erhalten.
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