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Europas Wirtschaft steht kurz- und langfristig vor Herausforderungen

Trotz der zyklischen und langfristigen Widerstände ist Europa in unseren Augen ein guter Diversifikator für die Duration internationaler Portfolios.

Auch wenn es in den letzten Monaten gewisse Anzeichen der Besserung gab, hinkt Europa den USA mit Blick auf das kurzfristige Wachstum hinterher, was vor allem auf die restriktivere Fiskalpolitik und das schnellere Durchschlagen der strafferen Geldpolitik zurückzuführen ist. Die schwächere Wirtschaftsentwicklung könnte allerdings auch auf längere Sicht anhalten, da Europa mit einer Reihe längerfristiger Hindernisse konfrontiert ist. Das scheint besonders auf Deutschland zuzutreffen, doch auch die übrigen europäischen Nationen sind nicht davor gefeit – auch nicht Großbritannien.

Schwierige Aussichten für die Gesamtwirtschaft

In letzter Zeit hat sich die konjunkturelle Entwicklung in Europa deutlich von jener in den USA entkoppelt. Dafür sind in unseren Augen zwei Hauptfaktoren verantwortlich. Erstens: In den USA wurden in Zeiten der Pandemie wesentlich umfangreichere Konjunkturprogramme beschlossen, deren Wirkung in Form der noch immer positiven realen Ersparnisüberschüsse der privaten Haushalte weiterhin spürbar ist. Zweitens sind die durchschnittlichen Laufzeiten an den europäischen Hypothekenmärkten kürzer als in den USA, was bedeutet, dass die europäischen Privathaushalte stärker von der restriktiveren Geldpolitik belastet wurden.

Während diese beiden Faktoren kurzfristiger Natur sind, gibt es aus unserer Sicht einige strukturelle Ursachen dafür, dass die Wachstumszahlen der USA längerfristig von den europäischen abweichen könnten.

Erstens muss sich die Euroregion mit Energiekosten auseinandersetzen, die höher sind als noch vor Beginn des Ukraine-Konflikts. Zweitens hat sich das Wettbewerbsumfeld weiterentwickelt, und China hat seinen Marktanteil bei Industrieerzeugnissen, die in direktem Wettbewerb mit europäischen Gütern stehen, ausgebaut – nicht zuletzt im Automobilsektor. Drittens ist Europa ein Nachzügler in Sachen Technologie und investiert weniger in künstliche Intelligenz (KI) als die USA und China, was zum Teil durch die strengeren regulatorischen Vorschriften bedingt ist. Außerdem schränkt der finanzpolitische Handlungsrahmen Europas (einschließlich der in der deutschen Verfassung verankerten Schuldenbremse) das Potenzial der Region für eine aktivere Haushaltspolitik ein.

Alles in allem kommen wir zu dem Schluss, dass sich die zuletzt unterschiedliche Entwicklung beim Produktivitätswachstum in den USA und Europa zumindest teilweise fortsetzen wird (siehe Abbildung 1). Das bekräftigt die Einschätzung, dass die Gleichgewichtszinsen in Europa – und die Zielmarke für die Leitzinsen am Ende des aktuellen Zinssenkungszyklus – deutlich niedriger sein sollten als in den USA.

Abbildung 1 zeigt das Produktivitätswachstum in den USA, dem Vereinigten Königreich und der Eurozone, gemessen am Output pro Beschäftigtem, vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2023. In dieser Zeitspanne ging es bei der Produktivität in den USA mit einem Wachstum von mehr als fünf Prozent per Ende 2023 deutlich stärker bergauf als im Vereinigten Königreich mit knapp über null Prozent und in der Eurozone mit knapp unter null Prozent.

Zugegeben, Deutschland ist diesen Widerständen in besonderem Maße ausgesetzt; doch auch der Rest von Europa – einschließlich Großbritannien – wird durch sie beeinträchtigt. Was Großbritannien angeht, sehen wir eine besondere Marktchance darin, dass der eingepreiste Zinspfad der Bank of England im Einklang mit jenem der US-Notenbank verläuft (siehe Abbildung 2), obwohl die kurz- und langfristigen Wachstumserwartungen für Großbritannien geringer sind und die Finanzpolitik restriktiver ausfallen dürfte.

Infolge der britischen Staatsanleihen-Krise 2022 (ausgelöst durch die Ankündigung nicht finanzierter Steuersenkungen im Umfang von 45 Milliarden Pfund) beschloss die britische Regierung erhebliche Sparmaßnahmen im Umfang von rund zwei Prozent des BIP, die sich gleichermaßen auf Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen verteilen sollten. Diese Maßnahmen sind noch immer in Kraft, und die Regierung hat weitere Maßnahmen erarbeitet, um den Primärsaldo bis 2027 von einem Defizit von etwa einem Prozent des BIP auf einen Überschuss von etwa einem Prozent des BIP zu bringen. Folglich ist damit zu rechnen, dass die Haushaltspolitik in Großbritannien so restriktiv ausfallen wird wie in kaum einer anderen Industrienation – ein Grund, weshalb wir mit einem unter dem Trend liegenden Wachstum rechnen.

Abbildung 2 zeigt die aus den Marktpreisen hervorgehenden Erwartungen hinsichtlich der Zentralbankzinsen in den USA, dem Vereinigten Königreich und der Eurozone, gemessen an Zinstermingeschäften. Daraus wird ersichtlich, dass die Erwartungen hinsichtlich der Zinspfade von US-Notenbank und Bank of England sehr ähnlich sind und es im Einklang abwärts geht, nämlich von etwa 5,1 bis 5,25 Prozent im April 2024 auf 4,0 bis 4,25 Prozent im Januar 2027. Für den Zinspfad der Europäischen Zentralbank wird ein ähnlicher Verlauf erwartet, allerdings auf niedrigerem Niveau – von knapp unter 4,0 Prozent im April 2024 auf 2,25 Prozent im Januar 2027.

Anlagekonsequenzen

In Anbetracht unseres makroökonomischen Ausblicks sind europäische Zinsengagements attraktiv, da die Region ein guter Diversifikator für die Duration internationaler Portfolios ist. Dies gilt insbesondere für das Vereinigte Königreich wegen der in den Marktpreisen enthaltenen Erwartungen – schließlich dürfte die Bank of England ihre Zinsen im Zeitablauf schneller senken als die US-Notenbank. Was die einzelnen Kurvenabschnitte betrifft, sind wir nach wie vor der Meinung, dass der mittlere Laufzeitbereich am attraktivsten ist, da die Zinsen im aktuellen Zyklus hier stark zurückgehen dürften. Dieser Kurvenbereich scheint der „Sweet Spot“ für neue Zinsengagements zu sein. Die kurzfristigen Renditen werden aufgrund ihrer flüchtigen Natur sinken, sobald die Notenbanken mit der Zinssenkung beginnen, wohingegen lang laufende Anleihen anfälliger für globale Haushaltsprobleme sind.

Autor

Nicola Mai

Portfoliomanager, Sovereign Credit Analyst

Peder Beck-Friis

Economist

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